"Handel bringt Wandel" hieß es einst. Die Teilhabe am internationalen Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital brachte nicht nur den Industrie-, sondern auch zahlreichen ehemaligen Entwicklungsländern einen gewissen Wohlstand. Diese Ära scheint nun zu Ende zu gehen, konstatiert Martin Hüfner – und das liegt nicht nur an Donald Trump. Denn Protektionismus ist nicht nur in den USA wieder gesellschaftsfähig. Weshalb die Weltkonjunktur auch mit weniger Globalisierung klarkommt, erklärt der Chefvolkswirt von Assenagon und volkswirtschaftliche Berater der österreichischen Hello Bank in seinem neuesten Kommentar. (ps)


Unter den vielen guten Konjunkturnachrichten, die in diesen Wochen veröffentlicht werden, sticht eine heraus, die so gar nicht in das Bild passt: Das ist die Entwicklung des Welthandels. Er zieht in den letzten Wochen zwar an, bleibt aber weit hinter früheren Zuwachsraten zurück. Könnte das ein Omen sein, dass irgendetwas nicht rund läuft in der Konjunktur?

Nach der neuesten Schätzung des Internationalen Währungsfonds, die vor ein paar Wochen herauskam, wird der Welthandel in diesem Jahr real nur um 4,1 Prozent zunehmen. Das entspricht in etwa auch den Prognosen anderer Institutionen. Es ist ungewöhnlich wenig verglichen mit der Dynamik, die gegenwärtig in der Weltwirtschaft insgesamt zu beobachten ist. Nach den bisherigen Erfahrungen müsste der Welthandel derzeit nicht um vier sondern wenigstens um sechs bis sieben Prozent zunehmen.

Die neue Normalität: Welthandel und Welt-BIP real (jährliche Änderungsrate in Prozent)

Das langsamere Wachstum ist kein vorübergehender Ausreißer. Es ist eine grundlegende strukturelle Veränderung. Die Grafik zeigt, dass sich das Verhältnis zwischen Welthandel und globaler Wirtschaftsentwicklung in den letzten Jahren tiefgreifend verändert hat. Bis zum Jahre 2011 wuchsen die Exporte mit ganz wenigen Ausnahmen immer wesentlich schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Im Schnitt war die Zunahme fast doppelt so hoch. Zeitweise erhöhten sich die Exporte sogar um bis zu zwölf Prozent pro Jahr. Seitdem ist die Luft aber raus. Der Welthandel nimmt nicht mehr schneller zu als die Gesamtwirtschaft. Seit 2012 laufen die beiden Kurven weitgehend parallel.

Das ist eine neue Welt. Die Exporte sind nicht mehr der Wachstumstreiber Nummer Eins. Sie sind nicht mehr dynamischer als die anderen Nachfragekomponenten. Sie entwickeln sich so normal wie der private Konsum, die Investitionen oder der Bau.

Viele bedauern das. Sie führen es in erster Linie auf den "Trump-Effekt“ zurück, also die zunehmenden protektionistischen Tendenzen in der Welt. Das spielt sicher eine Rolle. Die staatlichen Eingriffe in den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr haben in den letzten Jahren – unabhängig von den Tiraden des amerikanischen Präsidenten  – zugenommen. Die EU-Kommission listet in ihrem neuen Bericht über Handelshemmnisse allein aus letzter Zeit 36 Eingriffe in den freien Welthandel auf, die Exporte in Höhe von insgesamt 27 Milliarden Euro betreffen. Mit dem Brexit kommen weitere Handelsbeschränkungen hinzu.

Wir sollten die Schuld aber nicht nur beim Staat suchen. Wichtiger oder wenigstens genauso wichtig ist, dass bei den Unternehmen in den letzten Jahren ein Umdenken eingesetzt hat. Es gibt eine Rückbesinnung auf heimische Märkte. Es hat sich gezeigt, dass die Vorteile niedrigerer Kosten etwa im fernen Asien oft nicht aufgewogen werden durch die größeren Schwierigkeiten der Steuerung der Produktion über so weite Entfernungen. Es lohnt sich wieder, verstärkt zu Hause zu produzieren.

Dies auch, weil die Kosten in den Schwellen- und Entwicklungsländern vielfach stark gestiegen sind. China ist längst kein "low cost producer“ mehr, sondern verlegt sich auf innovative, technologisch anspruchsvolle Produkte. Wo die Kosten noch niedrig sind (wie in Teilen Afrikas) werden die Vorteile oft aufgewogen durch schlechte Infrastruktur und Unsicherheiten in der Politik. Hinzu kommt, dass einige Länder bewusst das Ziel verfolgen, die Abhängigkeit vom Export zu verringern und stattdessen stärker auf den privaten Konsum zu setzen – siehe China. In einer Reihe von Staaten nimmt die Kritik an zu hohen Exportquoten zu. Es ist verständlich, dass die Unternehmen darauf reagieren.

Die langsamere Zunahme des Welthandels ist also auch marktbedingt. Sie wird bleiben, selbst wenn der Protektionismus nicht mehr zunehmen sollte. Die Globalisierung kommt in eine neue Phase. Sie geht zwar nicht zurück, sie steigt aber auch nicht mehr. Ist das schlimm? Natürlich gibt es negative Effekte. Schwellen- und Entwicklungsländer, die über die Exporte ihre Entwicklung vorangetrieben haben, wachsen nicht mehr so schnell. Das Einkommensgefälle der Industrieländer zur Dritten Welt wird wieder größer. Staaten mit besonders hoher Exportabhängigkeit wie Deutschland verzeichnen weniger Nachfrage nach ihren Produkten. Langsameres Wachstum des Welthandels hat aber auch Vorteile.

Die Schwankungsanfälligkeit der Volkswirtschaften wird geringer. In der Vergangenheit waren die Exporte stets der volatilste Teil des Wachstums. Wenn die Exportquoten nicht mehr steigen, nimmt auch die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland nicht mehr zu. Das erhöht die Eigenständigkeit der Länder und den Spielraum nationaler Wirtschaftspolitik. Die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf die Ungleichheit in den Gesellschaften werden nicht mehr größer. Die deutschen Exportüberschüsse, die den Partnern sowohl in der EU wie auch in der Welt insgesamt ein Dorn im Auge sind, können leichter abgebaut werden, wenn die Exporte nicht mehr so schnell wachsen.

Für den Anleger
Anleger müssen sich auf die neue Welt einstellen. Bisher galt eine hohe Exportorientierung in der Regel als Zeichen guter Wettbewerbsfähigkeit und war ein Plus. Wenn der Welthandel nicht mehr so stark wächst, muss man auf andere Kriterien achten, etwa die Innovationsfähigkeit, die Investitionen oder die Finanzierungsstruktur. Das gilt für die Auswahl der Unternehmen genauso wie für die regionale Allokation. Wenn die Schwankungen im Wachstum der Volkswirtschaften nicht mehr so groß sind, könnte auch die Volatilität der Kapitalmärkte abnehmen.