Deutschlands Konjunkturhimmel verdüstert sich. Gut so, meint Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon und volkswirtschaftlicher Berater der österreichischen Hello Bank. Er verweist darauf, dass Rezessionen – richtig genutzt – nicht nur verheerend sein können, schärfen sie doch beispielsweise das Risikobewusstsein aufseiten der Unternehmen. (aa)


Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es in Deutschland sechs Rezessionen gegeben, in denen das reale BIP absolut zurückgegangen ist. Das waren jeweils aufregende Zeiten. Regierungen und Zentralbanken setzten alle Hebel in Be­wegung, um den Einbruch in Grenzen zu halten.

Jetzt könnte es wieder so weit sein. Es gibt eine Reihe von Indizien, dass Deutschland wieder vor einer Rezession steht. Auch diesmal wird, wenn es ernst wird, wieder gegen­gesteuert werden. Die Geldpolitik hat bereits die Zinsen gesenkt und neue Wertpapierkäufe angekündigt. Die Fi­nanzpolitik ziert sich noch. Sie spürt noch keinen unmittel­baren Handlungsdruck. Aber auch hier sind Steuersenkun­gen, Erhöhungen der Ausgaben, Abschreibungserleich­terungen, Investitionsförderungen und anderes im Ge­spräch. Das entspricht den üblichen Instrumenten, die die Konjunkturpolitik für solche Fälle zur Verfügung stellt. Über das Prinzip, natürlich nicht über die einzelnen Details, wird es wenig Diskussionen geben.

Rezessionen in Deutschland


Auf der Y-Achse wird die Zunahme des realen BIPs in Prozent gezeigt

Ich möchte hier einen Kontrapunkt setzen. Ist die Bekämp­fung der Rezession wirklich so selbstverständlich? Es ist klar, dass ein Rückgang der Beschäftigung und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit etwas ist, was die Regierung in jedem Fall vermeiden muss. Auch ein Wohlstandsverlust durch einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion ist etwas Schlechtes. Beides sollte, wenn irgend möglich, ver­hindert werden.

Andererseits sind Rezessionen aber auch nicht ganz sinn­los. In der Bibel gibt es die sieben mageren Jahre, die auf die sieben fetten folgen. In diesen Zeiten werden Übertrei­bungen zurückgeführt. Das Leben normalisiert sich wieder. Wenn die Produktion nicht immer nur wächst, dann schärft das das Risikobewusstsein der Unternehmen. Sie wissen, dass sie sich nicht automatisch auf anhaltende Nachfrage verlassen können. Sie müssen vielmehr durch besondere Anstrengungen und Innovationen um das Vertrauen der Kunden werben.

In den letzten Jahren hat es in Deutschland an diesen Korrekturphasen gefehlt. Die Wirtschaft dümpelte mit einer Rate von ein bis zwei Prozent dahin. Das hat nicht nur etwas mit der Alterung der Gesellschaft und dem stockenden Welthandel zu tun. Es liegt auch daran, dass Wirtschaft und Gesell­schaft müde geworden sind, vielleicht sogar träge. Es ist bemerkenswert, dass Frankreich in letzter Zeit dank der dort ergriffenen Reformen deutlich schneller expandiert als Deutschland. Die Bundesrepublik gehört innerhalb der Eu­ropäischen Gemeinschaft derzeit zu den Ländern mit der geringsten Wachstumsrate. Sie ist Weltmeister darin, ande­ren zu sagen, was sie zu tun haben. Aber selbst hat sie kei­ne größeren Reformen zustande gebracht.

Eine Rezession in Deutschland wäre daher jetzt nicht unbe­dingt ein Fehler. Sie würde das Entstehen von Zombie-Unternehmen bremsen. Derzeit fördern die Minuszinsen so­wie die anhaltend steigende Nachfrage das Entstehen von Firmen mit hohen Schulden und ohne ein profitables Ge­schäftsmodell. Sie können sich nur über Wasser halten, weil die Nachfrage immer weiter steigt. Eine Marktbereinigung ist dringlich vonnöten.

Eine Rezession beschleunigt die Restrukturierung von Firmen, deren Geschäftsmodell sich überlebt hat bezie­hungsweise die es nicht rechtzeitig an die veränderten Gegebenheiten angepasst haben. Hierzu gehören Unter­nehmen wie thyssenkrupp, Thomas Cook, die deutschen Großbanken oder auch die Autoindustrie.

Eine Rezession könnte hilfreich sein, um die notwendige Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft von der übertrie­benen Abhängigkeit vom Export zu einer stärkeren Fokus­sierung auf die Binnenwirtschaft zu fördern. Diese Restruk­turierung ist erforderlich, weil die Globalisierung nicht mehr in dem Maße fortschreitet, wie das in der Nachkriegszeit der Fall war. Der Export kann heute nicht mehr der wichtigste Wachstumstreiber sein.

Schließlich kennen wir die Therapie einer Marktbereinigung durch einen größeren Einbruch auch vom Kapitalmarkt. Die Aktienkurse sind in den letzten zehn Jahren fast kontinuier­lich gestiegen. Es wäre für den Markt an der Zeit einmal Luft zu holen. Das muss kein Crash sein. Aber doch eine Pause, in der die Anleger zur Besinnung kommen.

Eine Gesundung der Wirtschaft durch eine Rezession ist ei­gentlich eine Dr. Eisenbarth-Methode, die im Zeitalter mo­derner Wirtschaftswissenschaft nicht mehr adäquat sein sollte. Es gibt heute schonendere und weniger schmerzhaf­te Methoden, um eine Wirtschaft auf Trab zu bringen. Andererseits zeigt die moderne Verhaltensökonomie, dass Gefühle wie Schmerz oder Freude Wirkungen hervorbrin­gen, die in den normalen keynesianischen Modellen nicht enthalten sind. Der britische Economist hat vor einiger Zeit geschrieben: "Eine Rezession ist zwar unerfreulich, aber sie wirkt reinigend und ist damit notwendig".

Allerdings darf der Einbruch nicht zu stark sein. Wie immer kommt es auf das Maß an. Ein gewisser Rückgang des BIPs ist hilfreich und wirkt gesundend. Wird er zu stark, überwiegen die negativen Effekte. Eine Zeit, in der die Ar­beitslosigkeit wegen der demografischen Veränderungen nicht so groß ist, ist für solche Korrekturen durchaus ge­eignet. Freilich muss man vorsichtig sein, dass eine Re­zession die Demokratie nicht überstrapaziert und dem Po­pulismus nicht Vorschub leistet.

Für den Anleger
Haben Sie keine zu große Angst vor einer Rezession. Sie hat kurzfristig zwar negative Effekte auf die Gewinne der Unternehmen und führt zu Ausfällen durch Insolvenzen. Das ist schlecht für Aktien und Credits. Andererseits wird dadurch der Grundstein für gesünderes Wachstum in der Zukunft gelegt. Da sollte man dabei sein.