Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon sowie Volkswirtschaftlicher Berater bei der österreichischen "Hello bank!", hat in seinem Wochenkommentar gute Nachrichten für Anleger: Der Aufschwung an den Emerging Markets kann noch länger dauern. Weniger gut scheint es hingegen wirtschaftlich gesehen in den Industrieländern zu laufen. Damit kommt es bei der Weltwirtschaft erstmalig nach dem zweiten Weltkrieg zu einer divergierenden Entwicklung. Mittel- bis langfristig ist dies das Ergebnis eines möglicherweise gefährlichen Trends in Richtung Abschottung und Nationalismus. Ob Anleger und ihre Berater nun ihre Engagements in Emerging-Market-Fonds erhöhen sollten, können Sie nachfolgend Hüfners Originalkommentar entnehmen.


In der Weltwirtschaft vollziehen sich derzeit Veränderungen, die ich so bisher noch nie gesehen hatte. Sie haben erhebliche Auswirkungen nicht nur auf das globale Wachstum, sondern auch auf die Kapitalmärkte und die Anleger.

Bisher sind wir immer davon ausgegangen, dass sich auch die Weltwirtschaft in Zyklen bewegt. Es gibt zwar immer das eine oder andere Land, das zeitweise ausschert und seinen eigenen Weg geht. Die Wachstumsraten von Industrie- und Entwicklungsländern sind auch unterschiedlich hoch. Aber insgesamt gesehen konnte man doch ein gemeinsames Muster erkennen. Wenn es in den Industrieländern nach oben ging, dann war das auch in den Emerging Markets der Fall. Umgekehrt, wenn sich die Konjunktur abschwächte, waren davon sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer betroffen.

Damit scheint es jetzt erst einmal vorbei zu sein. Die Schwellen- und Entwicklungsländer wachsen zwar immer noch schneller als die Industrieländer. Beim Timing emanzipieren sie sich jedoch. Zum ersten Mal in der Geschichte der Nachkriegszeit entwickelt sich die wirtschaftliche Dynamik in den Industrie- und den Entwicklungsländern nicht mehr parallel, sondern gegenläufig.

Konjunkturschaukel
Reales Wachstum der Industrie- und der Entwicklungsländer, in % yoy
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In diesem und dem nächsten Jahr dreht sich die Situation. Die Industrieländer verlieren an Schwung. Ihr Wachstum verringert sich wieder auf 1,3 Prozent. In den Schwellen- und Entwicklungsländern geht es dagegen kräftig nach oben. Sie werden aller Voraussicht nach im nächsten Jahr wieder eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts von 4,6 Prozent erreichen.

Manche sehen das als eine neue zyklische Gesetzmäßigkeit. Wenn es in den Industrieländern nach oben geht, schwächen sich die Entwicklungsländer ab und umgekehrt. Mit so weitgehenden Schlussfolgerungen wäre ich jedoch vorsichtig. Das was die gegenwärtige Verschiebung der Zyklen ausgelöst hat war nämlich weitgehend ein einmaliger Vorgang: Die Krise in der Dritten Welt. In den Zeiten boomender Rohstoffpreise gab es dort eine Wachstums-Bonanza. Alles schien gut, und viele glaubten, der Boom könne nie zu Ende gehen. Daraus entwickelten sich Übertreibungen. Es kam zu Fehlinvestitionen. In Politik und Wirtschaft machten sich Schlendrian und Korruption breit. Bestes Beispiel ist Brasilien. Das musste mit einem schmerzhaften Wachstumseinbruch korrigiert werden. Jetzt nähert sich die Anpassung ihrem Ende. In einer Reihe von Ländern geht es wieder aufwärts.

Was bedeutet diese Verschiebung zwischen den Zyklen der einzelnen Ländergruppen? Die gute Nachricht: Die Weltwirtschaft ist stabiler. Die Schwäche des einen wird durch die Stärke des anderen kompensiert. Das erklärt, dass die globale Wachstumsrate in den letzten Jahren so stabil war. Sie bewegte sich sechs Jahre hintereinander in der engen Bandbreite zwischen drei und vier Prozent. So etwas hat es meines Wissens noch nicht gegeben.

Die schlechte Nachricht: Die Integration in der Weltwirtschaft leidet. Die zentrifugalen Kräfte nehmen zu. Die Menschen haben nicht mehr den Eindruck, dass sie alle in einem Boot sitzen. Es sind verschiedene Boote mit unterschiedlichen Interessen unterwegs. Der Welthandel erfüllt nicht mehr seine ausgleichende Funktion. Früher wuchs er in der Regel doppelt so schnell wie die Weltproduktion. Jetzt stagniert er, zeitweise schrumpft er sogar. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Sie spiegelt die zunehmenden Abschottungstendenzen in einzelnen Ländern und die Schwierigkeiten, neue regionale Freihandelsabkommen zu schließen. Sie birgt auch das Potenzial für politische Spannungen.

Der Anleger...
...kann sich freuen. Zum einen bedeutet die Aufwärtsentwicklung in den Emerging Markets, dass die "Trockenperiode" auf den Finanzmärkten dieser Länder dem Ende zugehen könnte. Seit 2011 sind die Börsen der Schwellen- und Entwicklungsländer zusammengenommen – anders als die der Industrieländer – insgesamt gesehen nicht mehr gestiegen. Der MSCI Emerging Markets notiert heute auf demselben Niveau wie im Herbst 2009 unmittelbar nach der Finanzkrise. Seit Anfang dieses Jahres hat sich die Entwicklung gedreht. Die Kurse sind um fast 25 Prozent gestiegen. Wenn es richtig ist, dass sich diese Länder in einer konjunkturellen Erholung befinden, die noch länger anhält, dann könnte diese Aufwärtsentwicklung noch kräftig weitergehen.

Und noch etwas: Wenn sich die konjunkturelle Schaukel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern fortsetzen sollte, dann ergäben sich auch daraus weitere Chancen. Dann hätte der Anleger immer einen Bereich, wo er Geld verdienen könnte – entweder in den Industrieländern oder in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Langfristige Investoren könnten daran denken, sich gleichzeitig Fonds aus Industrieländern und Fonds aus Emerging Markets ins Depot zu legen. Oder sie könnten in einen Welt-Aktienfonds investieren, der auf lange Sicht größere Stabilität versprechen müsste. (mb)