Am kommenden Sonntag findet der zweite Wahlgang um die brasilianische Präsidentschaft statt. In der Stichwahl stehen sich der Jair Bolsonaro von der Sozial-Liberalen Partei und Fernando Haddad von der skandalumwitterten Arbeiterpartei gegenüber. Bolsonaro ist zugleich der Favorit der Finanzmärkte. Seit seinem Sieg in der ersten Wahlrunde legten brasilianische Titel im Vergleich zu anderen Emerging-Market-Papieren zu. Seine angekündigten Wirtschaftsreformen könnten am Ende den gesamten Schwellenländermarkt positiv beeinflussen.

Conrad Saldanha, Senior Portfolio Manager, und sein Kolllege Gorky Urquieta, Global Co-Head of Emerging Markets Debt bei Neuberger Berman, gehen in einem ausführlichen Marktkommentar darauf ein, welche Auswirkungen ein Wahlsieg des rechtspopulistischen Bolsonaro auf die gesamten Schwellenländermärkte haben könnte.

Investoren wollen einen konservativen Präsidenten
In der ersten Runde vor zwei Wochen hat Bolsonaro die absolute Mehrheit knapp verpasst. Bolsonaro gewann mehr Stimmen, als die Meinungsumfragen vorausgesagt hatten, und auch bei den Kongresswahlen hat seine Partei unerwartet gut abgeschnitten. Den Umfragen zufolge sei er laut Urquieta und Saldanha am Sonntag klarer Favorit. Haddad falle es schwer, aus dem Schatten des früheren Präsidenten Lula da Silva herauszutreten und die Skandale um die Arbeiterpartei abzuschütteln.

Bolsonaro sei auch der Favorit der Finanzmärkte, zumal die Mitte-Rechts-Kandidaten ausgeschieden sind. Seit der ersten Wahlrunde haben brasilianische Titel andere Emerging-Market-Papiere sehr klar hinter sich gelassen, bei einer weltweit hohen Volatilität.

Im unwahrscheinlichen Fall eines Überraschungssiegs von Haddad könnten Investoren ihre Meinung durchaus ändern, auch wenn eine Haddad-Regierung vermutlich pragmatischer vorgehen wird als die letzten Regierungen unter Führung der Arbeiterpartei. Aber ist Bolsonaro wirklich der Wirtschaftsreformer, den die Märkte in ihm sehen?

Der Markt hofft auf einen Finanzminister Paulo Guedes
Mit seinem autoritären Stil und seinen umstrittenen Äußerungen sei Bolsonaro zumindest laut den beiden Neuberger Berman-Professionals ein Vertreter des "internationalen Rechtspopulismus“. So nebulös er sich im Wahlkampf zu Wirtschaftsfragen geäußert und so oft er in der Vergangenheit gegen Wirtschaftsreformen gestimmt hat, so wenig populistisch waren seine jüngsten Äußerungen. Sein Chefwirtschaftsberater Paulo Guedes, Absolvent der Universität Chicago und möglicher Finanzminister, spricht sich für radikale Reformen mit Privatisierungen und Ausgabenkürzungen aus.

Bolsonaro mag mit seinem polternden Politikstil US-Präsident Donald Trump ähneln, aber er gleicht Trump auch insofern, als er eine Wirtschaft übernimmt, die sich zwar erholt, aber mit strukturell hohen Staatsschulden und einem hohen Haushaltsdefizit zu kämpfen hat. Die brasilianischen Staatsschulden werden 80 Prozent des BIP überschreiten, und die Zinsen sind hoch. Ein wichtiges Ziel werde daher ein primärer Haushaltsüberschuss sein.

Dazu dürften Subventionskürzungen und Privatisierungen nötig sein, aber das allein reicht vermutlich nicht. Renten und Sozialleistungen verschlingen fast die Hälfte des Staatshaushalts; in den letzten 20 Jahren machten sie rund 79 Prozent des Wachstums der Bundesausgaben aus (in Prozent des BIP).

Die Investoren dürften Bolsonaros Schonfrist verkürzen, wenn sie bei der Rentenreform bis Mitte nächsten Jahres keine echten Fortschritte sehen. Doch ohne eine solche Reform könne Brasilien kaum die Ausgaben so weit begrenzen, wie es die unter Präsident Michel Temer vor zwei Jahren verabschiedete Verfassungsänderung verlangt.

Politisches Kapital gefragt
Tatsächlich ist noch längst nicht alles in trockenen Tüchern. Das Rentenreformgesetz steckt im Kongress fest. Dennoch könnte es zu einer neuen Dynamik kommen, noch bevor der neue Präsident am 1. Januar 2019 in sein Amt eingeführt wird. Seit Bolsonaros Sozial-Liberale Partei mit 52 Sitzen die zweitgrößte Fraktion in der Abgeordnetenkammer ist, dem wichtigsten Gesetzgebungsorgan, ist die Hoffnung gestiegen. Viele seiner Abgeordneten stehen in wirtschaftlichen Fragen aber deutlich links von Paulo Guedes. Die Fortschritte könnten davon abhängen, ob Bolsonaro sein eigenes politisches Kapital riskiert und, einmal mehr nach dem Vorbild von Trump, direkt die Wähler anspricht, um mit seinem Charisma die Partei auf seine Linie zu zwingen.

Damit wächst das Risiko, dass ein zunehmend autoritärer Stil und eine Schwächung der zivilgesellschaftlichen Institutionen jeden Reformeifer ersticken könnten. "Bis jetzt sind wir aber optimistisch, dass vernünftige Standards beibehalten werden. Das gilt insbesondere im Vergleich zu der Korruption früherer Regierungen, die Brasiliens beeindruckend unabhängige Justiz aufgedeckt hat. Bolsonaro ist im Kreis der derzeitigen Populisten keine Ausnahme, und sein Mandat ist deutlich schwächer als etwa das von Andrés Manuel López Obrador in Mexiko“, schreiben die beiden Neuberger-Berman-Experten.

Der US-Asset Manager erwartet eine deutlich härtere Haltung bei sozialen Themen, insbesondere Kriminalität. Natürlich kann dies zu negativen Schlagzeilen führen, doch es sei  keine deutliche Schwächung der Rechtsstaatlichkeit zu erwarten.

Interessantes Zinsniveau
Urquieta und Saldanha gehen davon aus, dass der Real selbst nach der jüngsten Aufwertung unterbewertet bleibe, da Brasilien anders als Argentinien nicht unter dem Druck steht, sich ausländisches Kapital beschaffen zu müssen. "Außerdem halten wir die Zinsen angesichts der strukturell niedrigen Inflation von zwei bis vier Prozent für attraktiv: Die Zweijahresrendite beträgt etwa 8,5 Prozent.“

Durch die Rally brasilianischer Aktien seit der ersten Wahlrunde und die Branchenrotation von Exportunternehmen mit Dollareinnahmen zu binnenorientierten Unternehmen mit Einnahmen in Real hält Aktien-Mann Saldanha die besten Aktien jetzt für sehr hoch bewertet – zumal sich das Wirtschaftswachstum noch immer in Grenzen hält. „Interessant scheinen uns nach wie vor Mid Caps, die in der Frühphase der durch Mittelzuflüsse ausgelösten Rallye ins Hintertreffen geraten waren.“

"Noch wichtiger ist, dass ein Sieg Bolsonaros am nächsten Wochenende die Anleger wieder optimistischer für Lateinamerika stimmen dürfte. Brasilien würde dem Regime in Venezuela etwas entgegensetzen können. Eine Konjunkturerholung würde auch anderen Ländern der Region stark nutzen, insbesondere Argentinien und Uruguay. Brasilien hat fast drei Prozent Anteil am Welt-BIP, sodass die Aussichten auf Wirtschaftsreformen in Brasilien den Emerging Markets insgesamt gut täten“, erklären Urquieta und Saldanha abschließend. (aa)