Im Kampf gegen den Klimawandel fehlen der EU-Kommission jährlich 180 Milliarden Euro. Wie diese Lücke gefüllt werden soll, steht seit gut einem Jahr fest: Private Anleger, genauso wie institutionelle Investoren, Fondsgesellschaften, Banken, Versicherungen etc. – kurz die gesamte Finanzindustrie – sollen an einem Strang ziehen und das Geld bevorzugt in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten stecken. So steht es im ­"Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums", den die Kommission im März 2018 veröffentlicht hat.

Während kaum jemand den Sinn eines nachhaltigeren Finanzwesens in Frage stellt, sorgt die tatsächliche Umsetzung bei vielen für Bauchgrummeln. Da wäre zum Beispiel die "Taxonomieverordnung", ein Klassifizierungssystem, das bestimmt, welche Wirtschaftstätigkeiten überhaupt nachhaltig sind. Eine Einigung darüber, was wirklich "gut" oder "böse" ist, gestaltet sich auf EU-Ebene schwierig: Während etwa Atomkraft in Frankreich als nachhaltig gilt, wird sie in Österreich weitgehend als No-Go gewertet.

"Verwässerung der Standards"
In einem Artikel, der in der aktuellen Heftausgabe 3/2019 von FONDS professionell erschienen ist, werden die Sorgen aus österreichischer Sicht deutlich: "Österreich nimmt punkto nachhaltiger Veranlagung traditionell eine Vorreiterrolle ein. Viele Gesellschaften haben seit Langem spezifische Geschäftsmodelle, das Umweltzeichen 49 ist weit über die Grenzen bekannt. Es ist zu befürchten, dass ein EU-Kompromiss die hohen österreichischen Standards verwässern könnte", sagt Armin Kammel, Rechtsexperte bei der Vereinigung Österreichischer Fondsgesellschaften (VÖIG).

Thomas Moth, Geschäftsführer der Finanzdienstleister in der Wirtschaftskammer, stellt im Gespräch mit der Redaktion neue Haftungsfragen zur Diskussion. Was, wenn sich ein Kunde mit dem Argument der unzureichenden ESG-Aufklärung schadlos halten will? Wertpapier- oder Versicherungsvermittler und -berater müssen nämlich künftig verpflichtend die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden abfragen. Das sehen die Abänderungen von Mifid II und IDD vor, die bereits als finale Vorschläge formuliert sind und die kommendes Jahr oder 2021 geltend werden könnten. Moth pocht unter anderem darauf, dass diverse Umweltgütesiegel genauso wie die Dokumente der Produktersteller für den Vertrieb eine geeignete Referenz sein müssen. "Es kann nicht vom Berater verlangt werden, dass er täglich schaut, ob ein Unternehmen gegen die Umweltauflagen verstoßen hat", so Moth.

"Pferd von hinten aufgezäumt"
Genauso bereitet ihm die erwähnte Taxonomieverordnung Kopfzerbrechen: Sie ist das Kernstück des EU-Nachhaltigkeitsplans, liegt aber angesichts der Uneinigkeit der Staaten über die Ausgestaltung bisher nur als Kommissionvorschlag vor. Indes sind zwei weitere wichtige Regularien bereits im EU-Trilog aus Kommission, Rat und Parlament fertig abgestimmt: die Offenlegungs- und die Referenzwerteverordnung. Sie setzen neue Bewertungsstandards oder sorgen für Änderungsbedarf bei der Kundeninformation. Sie könnten laut EU-Fahrplan bereits Ende 2020 / Anfang 2021 neue Pflichten bringen, während die zentrale Taxonomie noch gar nicht da ist. "Da wird das Pferd von hinten aufgezäumt", so Moth, der fordert, dass zuerst die Definitionen stehen müssen.

Moth, der sich beruflich seit längerem mit dem Nachhaltigkeitsthema beschäftigt, äußert im Gespräch zwar weitere Kritikpunkte, er relativiert aber oft geäußerte Sorgen und sieht auch die Chancen. Natürlich bringe der Aktionsplan Mehrbelastungen, diese blieben aber im Rahmen, so Moth: "Wenn ein Berater erkannt hat, dass die Umwelt seinem Kunden sehr wichtig ist, dann musste er das ja auch jetzt schon als Anlageziel berücksichtigen", gibt er zu bedenken.

Chance für neue Anlegergruppen
Der Nachhaltigkeitstrend könne für die Finanzvermittler schlussendlich eine Chance sein: "Mag sein, dass sich Kunden, die das nicht wollen, vor den Kopf gestoßen fühlen. Andererseits sind nachhaltige Strategien vielleicht für Leute interessant, die bis jetzt mit 'Investieren' nichts zu tun haben wollten", so der Experte. Das im internationalen Vergleich hohen Spendenaufkommen zeige ja, dass die Österreicher sehr aktiv ihr Geld einsetzen, wenn es einem greifbaren Zweck dient. "Es kommt darauf an, diese Dinge professionell zu vermitteln, sie glaubwürdig und transparent zu gestalten", so Moth. (eml)


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