Value-Investing hat im Laufe der Zeit viele Investoren reich gemacht. Zu den bekanntesten gehören Wall-Street-Legenden wie Warren Buffett, Charlie Munger oder John Templeton. Auch viele Kleinanleger setzten und setzen noch heute darauf, Firmen ausfindig zu machen, die an der Börse zu niedrig bewertet werden. Das Problem: Die Value-Strategie läuft nicht mehr, und das bereits seit Jahren. Growth-Aktien, vor allem Technologiewerte, lassen Substanzaktien sowohl in den USA als auch in Europa immer weiter hinter sich.

Experten der Fondsratingagentur Morningstar haben sich die Zahlen angeschaut, und die sehen nicht gut aus für Value-Fans. Der MSCI USA Value hat in den vergangenen zehn Jahren in US-Dollar pro Jahr um 9,1 Prozent an Wert zugelegt. Der MSCI USA Growth stieg im selben Zeitraum um satte 16,8 Prozent pro Jahr. Ein Blick auf die kumulierte Rendite illustriert den Unterschied: Hätte man vor einer Dekade 10.000 Euro in den Value-Index investiert, stünde man heute mit 24.000 Dollar da. Ein Investment in das Growth-Barometer hätte dagegen 47.000 Dollar eingebracht. In Europa klafft die Lücke zwischen den Investmentstilen sogar noch weiter auseinander: Der MSCI Value für Europa legte im vergangenen Jahrzehnt nur um 2,8 Prozent pro Jahr zu, sein Growth-Pendant verzeichnet dagegen einen jährlichen Zuwachs von 8,6 Prozent.

Parallel zur Performance-Schere hat sich die Bewertungslücke zwischen Substanz- und Wachstumsaktien in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet, schreibt Ali Masarwah aus dem Frankfurter Research-Team von Morningstar. Growth-Titel sind mittlerweile massiv höher bewertet als Value-Titel. Vor allem Wachstumsunternehmen mit hoher Marktkapitalisierung scheinen deutlich überbewertet zu sein. Value-Unternehmen, insbesondere in Europa, notieren dagegen offensichtlich deutlich unterhalb ihres fairen Wertes.

Kennzahlen halten nicht Schritt
Ist der Value-Ansatz also tot? Diese Frage kann man laut Morningstar nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Für den endgültigen Niedergang der Substanzwert-Strategie spricht, dass klassische Value-Kennzahlen wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) an Bedeutung verloren haben, argumentiert Masarwah. Immaterielle Vermögenswerte lassen sich damit nämlich nicht gut greifen. "Gerade Growth-Unternehmen weisen hohe immaterielle Werte auf", so der Experte. In den 1990er Jahren machten Patente, Urheberrechte und Co. in den USA rund zehn Prozent der Unternehmenswerte aus. Heute sind es rund 20 Prozent, im Technologiesektor sogar 40 Prozent.

Firmen mit hohen immateriellen Vermögenswerten können ein hohes KBV aufweisen und deshalb teuer erscheinen, weil sich ihr echter Wert mit dieser Kennzahl nicht korrekt ermitteln lässt. "Auch Aktienrückkäufe verringern den Buchwert und werden als Grund genannt, warum klassische Value-Kennziffern nicht mehr greifen", erklärt Masarwah.

Kein Wachstum ist für immer
Es gibt allerdings auch Argumente, die gegen den Tod von Value sprechen. So ist es keineswegs ausgemachte Sache, dass das Comeback der Substanzaktien, auf das viele Investoren nun schon so lange warten, tatsächlich abgesagt ist. Langfristig könnten die hohen Kurse vieler Growth-Aktien auf die erwarteten Renditen drücken und Value-Aktien wieder attraktiver machen. Auch das schwache Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre bot kein ideales Umfeld für den Value-Stil, gibt Masarwah zu bedenken. In solchen Zeiten bevorzugen Anleger klassischerweise Growth-Titel. Früher oder später dürfte die konjunkturelle Dynamik aber wieder anziehen.

Letztlich kann die Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Value-Stils nur unbefriedigend ausfallen. Auch nach weiteren zehn Jahren Underperformance wird man nicht klar sagen können, ob Value tot ist oder nur schläft, ist Masarwah überzeugt. Denn es handelt sich dabei um eine Glaubensfrage. Growth-Fans sollten sich nach Ansicht des Morningstar-Experten aber eines verdeutlichen: "In der über hundertjährigen Geschichte des Aktienmarktes gibt es keine Anzeichen dafür, dass manche Unternehmen ewig steigende Umsätze und Gewinne verbuchen." Langfristig kehren die Bewertungen von Aktien stets zu ihrem langfristigen Durchschnitt zurück. Value-Investoren dürften also für ihre Engelsgeduld belohnt werden. Irgendwann. (fp)