"Eigentlich hatten wir für 2018 mit einem 'Goldilocks Light'-Szenario gerechnet – doch dann kam der überraschende Absturz“, eröffnete Assenagon-Chefvolkswirt Martin Hüfner den in Wien gehaltenen Eröffnungsvortrag anlässlich des mittlerweile 9. Assenagon Investment Forums. Den "überraschenden“ Absturz an den Aktienbörsen lösten einerseits Zinsängste, andererseits aber insbesondere höhere Volatilitäten sowie dadurch ausgelöste Verkaufsorders aus. "Die Korrektur war keine Zins-, sondern ein Volatilitäts-Story, die uns höchstwahrscheinlich das ganze Jahr 2018 über beschäftigen wird“, erklärte Hüfner.

Seiner Ansicht nach seien steigende Zinsen nur bedingt ein Hemmschuh für steigende Aktienkurse. Denn steigende Zinsen seien ein Zeichen für eine bessere Konjunktur sowie höhere Unternehmensgewinne, die mittel- bis langfristig der wichtigste Faktor für die Aktienkurse sind. In der Vergangenheit war oftmals zu beobachten, dass sowohl Zinsen, als auch Aktienkurse gleichzeitig gestiegen sind. "Höhere Zinsen beenden nicht diesen Bullenmarkt“, betonte Hüfner. Eine Ende oder eine Korrektur könnten aber andere "Überraschungen“ auslösen.

USA geben den Takt vor
Investoren sollten die derzeitige Fiskalpolitik der USA im Auge behalten. Denn dort ereignet sich laut Hüfner "als zweite Überraschung“ nach keynesianischer Lehre der größte Fehler den man machen kann: Denn obwohl die Kapazitäten nach vielen Jahren Wirtschaftsaufschwung ausgelastet sind, pumpt die Trump-Regierung über eine Steuerreform zusätzlich 150 Milliarden US-Dollar per anno in die Wirtschaft. Hinzu kommen jährliche Staatsausgaben von etwa 150 Milliarden sowie ein Infrastrukturprogramm von 200 Milliarden Euro.

In Summe würden damit 500 Milliarden Euro prozyklisch in die Hand genommen. Das könnte zu höheren Inflationsraten und in Folge zu höheren Zinsen führen. "Mehr Nachfrage bei vollausgelasteten Kapazitäten führ zu mehr Inflation“, erklärte Hüfner. Darauf folgende Zinserhöhungen könnten gefährlich werden. Zwar könne der Markt laut Hüfner dieses Jahr bis zu vier Zinserhöhungsschritte verkraften. Das hänge aber vor allem davon ab, wie die Fed diese Zinsschritte kommuniziert. Denn der neue Fed-Chef Powell habe noch keine oder zu wenig Erfahrung in der Kommunikation der Zinspolitik an die Märkte und könnte durch ein falsches Wording Stress an den Märkten auslösen.

Zittern vor der Fed
Steigende US-Zinsen – Hüfner erwartet bis zu drei Prozent – sollten im Grunde zu einem stärkeren US-Dollar gegenüber dem Euro führen. Auch in der Vergangenheit, in der Ronald Reagan-Ära (frühe 1980er), führte eine ähnliche Steuerpolitik in Verbindung mit höheren US-Zinsen zu einem starken Dollar.

Hüfner nannte aber auch einige sehr gute Gründe, für einen schwachen US-Dollar sprechen: Die Kaufkraftparität, die erst bei circa1,35 USD/Euro erreicht sei, das immer höher werdende US-Leistungsbilanzdefizit, eine Abkehr der weltweiten Zentralbanken vom US-Dollar im Rahmen ihrer Währungsreserven-Diversifikation, eine Normalisierung der EZB-Geldpolitik und der damit verbundenen Abkehr von Negativzinsen, die noch immer bestehende Überbewertung des US-Dollars, die von Trump ausgehenden Unsicherheiten sowie das Ende der Eurokrise. "Ich erwarte einen schwächeren US-Dollar mit einem Austausverhältnis von 1,35 zum Euro im Jahr 2019“, prognostizierte Hüfner.

Dritte Überraschung: Europa lebt auf
Laut Hüfner erholt sich Euroland von den Krisen der letzten Jahre nun endlich stärker, als von vielen Marktakteuren erwartet. Vor allem Frankreich sollten Investoren aufgrund der wirtschaftsfreundlichen Politik von Micron auf ihre Kauflisten nehmen. "Nach Adam Riese sollten sich die französischen Reformen positiv auswirken, das wird aber noch etwas Zeit benötigen“, erklärte Hüfner und sieht bei Frankreich Parallelen zur mutigen Strukturpolitik Gerhard Schröders in den Nullerjahren, wie die Reform des damals verkrusteten deutschen Arbeitsmarkts. Hüfners Credo: "Frankreich ist der kommende Star unter den europäischen Aktienmärkten!"

Als unterschätzte Gefahr sieht Hüfner die Wahl auf der Apenninenhalbinsel. "Italien könnte uns die Suppe versalzen. Die Märkte haben dieses Risiko noch nicht auf der Rechnung", warnte der Chefvolkswirt. Er wundert sich daher, warum sowohl italienische Aktien in den acht vergangenen Monaten eine relative Stärke zur ihrer Peergroup aufwiesen und in den letzten Tagen der Risikospread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen enger geworden ist.

Vierte und fünfte Überraschung: Japan und die Emerging Markets
Japans Aktienmarkt erreichte jüngst den höchsten Indexstand seit 1991. Laut Hüfner sei dies aber nicht fundamental abgesichert, und japanische Aktien seien zu weit gelaufen.

Als fünfte Überraschung nannte Hüfner das Comeback der Schwellenländer, das sich in einem starken Anstieg des MSCI-Emerging-Markets-Index in den vergangenen eineinhalb Jahren zeigt. "Emerging Markets gelten oft als Risikopuffer, haben beim letzten Einbruch aber genauso gelitten", erklärte Hüfner. Er nannte EM-Risiken wie die Abhängigkeit von den Rohstoffpreisen, Probleme mit der Schuldenlasttragfähigkeit in einem Umfeld steigender (US)-Zinsen sowie den Gegenwind für den EM-Export, falls der US-Dollar gegenüber den EM-Währungen weiter abschwächen sollte.

Finale und sechste Überraschung: Minsky lebt
"Die Korrektur der letzten Wochen war ein Beweis dafür, dass Minsky lebt“, erklärte Hüfner und verwies dabei auf die Theorien des 1996 verstorbenen US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Hyman P. Minsky. Laut dieser Theorie würden Unternehmer und Investoren im Laufe eines Aufschwungs immer optimistischer und wagemutiger, bis das vielfach auf Krediten fußende "Kartenhaus" überraschend einstürzt.

Hüfner verwies auf den Spekulationshype bei Kryptowährungen oder manchen Nebenwerten. Aber auch seriöse Marktsegmente wie Standardaktien oder Anleihen gelten als überbewertet. Das zeige sich an Emissionen wie den 100-jährigen Anleihen der Republik Österreich, Argentinien oder Mexiko. Aber auch der Erwerb eines Kunstwerks von Salvator Mundi zu einem irrwitzigen Kaufpreis von 450 Millionen US-Dollar sollte aus antizyklischer Sicht erfahrene Investoren in Richtung Ausgang schauen lassen. "Wir befinden uns derzeit auf glattem Grund. Wir können, müssen aber nicht ausrutschen. Das Anlagejahr 2018 wird sehr interessant, seien Sie vorsichtig“, erklärte Hüfner in seinem Schlussstatement. (aa)