Die EU-Kommission will beim Klimaschutz die Finanzwirtschaft in die Pflicht nehmen, wie sie im 2018 veröffentlichten Aktionsplan "Finanzierung nachhaltigen Wachstums" deutlich machte. Doch was das in der Praxis bedeutet, darüber müssen Marktteilnehmer noch spekulieren, das bestätigten bei einer hochkarätig besetzten Diskussion des Datenanbieters Morningstar am Mittwoch mehrere Experten.

So gilt die EU-Verordnung für nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor bereits ab 10. März 2021. Es muss dann klar Auskunft gegeben werden darüber, inwieweit Finanzprodukte nachhaltig sind. Doch aus Sicht der Finanzindustrie gibt es ein Problem mit der Datengrundlage: Zwar habe die EU-Kommission konkrete wirtschaftliche Aktivitäten definiert - vom Umgang mit anaerobem Klärschlamm bis zu Zement. Doch "wir müssen hier Daten wie Umsatzanteile berücksichtigen, die es einfach noch nicht gibt", sagte Hendrik Pontzen, Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement der Union Investment, bei der Diskussion.

90 Prozent geschätzt
"Die Annahme geht dahin, dass nur zehn Prozent der Daten tatsächlich nachprüfbar sind und 90 Prozent geschätzt werden", bestätigt Stephan Bredt, Abteilungsleiter Wirtschaftsordnung, Finanzdienstleistungen, Börsen bei der Landesregierung Hessen. Man arbeite daran, diesen Datenengpass im Rahmen eines verbesserten Meldesystems – über den "Green and Sustainable Finance Cluster", an dem auch Regulatoren und Börsen mitarbeiten – zu beheben. 

"Das Verhältnis von 90 zu 10 ist vielleicht sogar zu optimistisch", sagt auch Hendrik Garz, Executive Director des Datenlieferanten Sustainalytics. Zwar würden die großen Unternehmen immer besser mit der Zurverfügungstellung von Daten. Doch man werde sich in diesem Bereich wohl immer auf einen gewissen "Schätzanteil" verlassen müssen. Für kleinere Unternehmen, die für Investoren ebenfalls interessant sind, die aber nicht zur Veröffentlichung solcher Informationen verpflichtet sind, werden entsprechende Zahlen auch weiterhin kaum verfügbar sein, so Garz. Die Nachfrage der Investmentbranche nach solchen Daten sei aber enorm. "Es ist unsere Aufgabe, da die richtigen Modelle zu entwickeln", sagt der Experte. Sein Unternehmen habe soeben ein eigenes Team von 50 Analysten aufgebaut, "die nichts anderes machen, als die Daten für diesen Bereich zu schätzen."

Einordnung von Fonds unklar
Viele Unklarheiten gibt es für die Fondsbranche auch, was die Einordnung des "Nachhaltigkeitslevels" von Finanzprodukten betrifft. Produkte müssen künftig angeben, ob sie eher dem Artikel 8 oder dem Artikel 9 der Offenlegungsverordnung entsprechen. Eine kniffelige Frage, die wie Martha Oberndorfer, Mitglied Securities and Markets Stakeholder Group der ESMA gesteht. "Man will hier die Produktpalette neu ordnen. Ein Fonds muss zum Beispiel darlegen, an welchen Nachhaltigkeitsbenchmarks er sich orientiert, oder wie stark er ein Nachhaltigkeitsziel verfolgt. Man muss angeben, ob man einen gewissen Nachhaltigkeitsanteil bewusst verfolgt, oder ihn nur zufällig erreicht hat", erklärte Oberndorfer. Je nachdem werde man dann als Fonds nach Artikel 8 oder 9 eingestuft. "Da ist die Einordnung auch den Experten noch nicht so klar", so Oberndorfer.  

Kritik gab es bei der Diskussion auch zu den diversen Nachhaltigkeitslabels-Siegeln, die abseits der EU-Vorgaben am Markt existieren. "Viele Labels werden immer strenger und unterstellen dabei, dass strenger auch besser sei, aber teils werden bis zu 95 Prozent des Investmentuniversums ausgeschlossen", sagt etwa Union-Mann Pontzen. Das kollidiere aber mit der Erwartung von Anlegern, dass gerade nachhaltige Produkte wertstabil sind.

Auf ein wesentliches Problem machte Sustainalytics-Experte Garz aufmerksam. Er wünscht sich ein Ende der Quartalspublizität. "Die Veröffentlichung von Quartalsberichten bedeutet zwar mehr Transparenz. Aber die Kurzfristigkeit lenkt den Fokus von Unternehmenslenkern in eine falsche Richtung", sagt er. (eml)