Ob Tulpenzwiebeln, Technologie-Aktien oder Grundstückspreise: Immer wieder sorgt die teuflische Kombination aus Leichtsinn und Profitgier unter Anleger-Amateuren, aber auch Investmentprofis dafür, dass Märkte heiß laufen. Platzt eine derart spekulativ aufgeblähte Blase, vernichtet der Knall nicht selten Vermögenswerte in Milliardenhöhe.

Aktuell sehen nicht wenige Beobachter die US-Börse sowie diverse europäische Immobilienmärkte in einer solch gefährlichen Übertreibungsphase. "Unsinn", entgegnet das Autorentrio einer neuen Studie der amerikanischen Elite-Universität Harvard. 

Die Arbeit "Bubbles for Fama“, die Robin Greenwood, Professor of Finance and Banking an der Harvard Business School, Andrei Shleifer, Professor für Ökonomie und Doktorand Yang You vor kurzem vorstellten, kommt zu dem Schluss: Der Verdacht, der US-Aktienmarkt wäre in einer Blase, ist Geschwätz. Mehr noch: Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die abstritten, dass Blasen erkennbar seien, folgert das Autorentrio, es gebe Zeiten, in denen man einen bestimmten Zustand als Blase bezeichnen kann.

Gewöhnungsbedürftige Definition
Ein erster Schritt bei der Analyse von Blasen ist die präzise Definition derselben. Die Wissenschaftler erklären, dass es dafür mehr braucht als einen scharfen Kursanstieg. Denn nicht alle Rallys enden mit einem großen Knall. Was umgekehrt bedeutet: Nur, weil Kurse plötzlich abstürzen, heißt das nicht automatisch, dass der vorherige Kursanstieg spekulativ übertrieben war.

Greenwood, Shleifer und You definieren als Blase einen Preisanstieg von mindestens einhundert Prozent binnen zwei Jahren, wenn die Kurse in den folgenden 24 Monaten um mindestens 40 Prozent abstürzen. Dem folgenschweren Crash IT-lastiger Aktien Ende der 1990er-Jahre war also eine solche Blase vorausgegangen.

Eine Folge der engen Definition des Autorentrios ist allerdings, dass sich nur sehr wenige Perioden in der Börsenhistorie als Blase qualifizieren. Nicht einmal der Immobilienkredit-Boom, der 2008 schmählich endete, wird als Blase gewertet. Seit 1928 gibt es nur ganze zwei: die Große Rezession, als die Euphorie 1929 plötzlich in Panik wechselte, und die "Dot-Com-Bubble", die ihr Maximum im Frühjahr 2000 hatte.

Cleverer Kniff...
Die vergleichsweise winzige "Ereignismenge" von gerade mal zwei Blasen macht es leider fast unmöglich, Schlussfolgerungen mit statistischer Signifikanz zu ziehen. Das scheint auch die Autoren gewurmt zu haben.

Um das Malheur abzuwenden, griffen die Wissenschaftler zu einem eleganten Trick: Sie wandten ihre Definition auf die Kursverläufe diverser Unterbranchen des S&P-500-Index an, also auf Industriezweige wie Automobilbau, Chemie, Rohstoffe und Versorger, Maschinenbau, Computer-Hard- und -Software, Nahrungs- und Genussmittel, Stahlerzeugung, Finanzen und Versicherungen, Konsum- und Investitionsgüter, Unterhaltung sowie Dienstleistungen.

Ergebnis: Am Ende des Tages zählten die Wissenschaftler 21 "echte" Kursblasen seit 1928. Die letzte fand im US-Kohlebergbau statt, die ihren Höhepunkt Mitte 2008 erreichte und im Anschluss daran Anlegern einen 74-prozentigen Verlust bescherte. Spannend sind die dabei gemachten Studienbefunde in Sachen Vorhersagbarkeit bevorstehender Crahs.

...knippst die Glaskugel an
Von 40 Fällen, in denen seit 1928 einzelne Branchenindizes zunächst um mehr als hundert Prozent in zwei Jahren stiegen, war in 21 Fällen ein darauffolgender Kursabstieg um in der Spitze zumindest 40 Prozent zu beobachten. Das entspricht 52,5 Prozent aller Fälle. Bei den übrigen (47,5 Prozent) stiegen die Preise nach einer Kursverdoppelung unermüdlich weiter, kollabierten kurz und fingen sich alsbald wieder oder liefen unspektakulär seitwärts. Klingt irgendwie langweilig, doch eine Crash-Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent stellt aus statistischer Sicht eine wertvolle Information dar.

Denn diese Eintrittswahrscheinlichkeit ist weit höher als jene, die man erwarten darf, würden Crashs zufällig auftreten. Und steigen die Kurse statt um 100 um 150 Prozent binnen zwei Jahren, liegt die Crash-Wahrscheinlichkeit in den kommenden 24 Monaten sogar bei 80 Prozent, so die Harvard-Expertise.

Die drei Autoren fanden noch mehr heraus. Nämlich, dass hohe Kursanstiege, die hernach im Crash endeten, meist mit Volatilitätsanstiegen, einem Ansturm neuer Börsenunternehmen in den vorangegangenen zwölf Monaten und einem nicht proportionalen Preisanstieg vor allem jener Firmen, die nur eine kurze Börsenhistorie aufweisen, einhergingen. Dazu kommen noch eine Beschleunigung des Preisanstieges und überdurchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnisse.

Aktuell keine Crash-Symptome
Was zu der spannenden Frage führt, wo der US-Aktienmarkt aktuell steht. Auch darauf haben die Verfasser eine klare Antwort: Die Wall Street erfüllt nicht einmal das erste Kriterium für eine blasenhafte Entwicklung.

In einem Interview strich Greenwood heraus, dass nicht eine einzige US-Aktienbranche in den zurückliegenden beiden Jahren einen Wertzuwachs von hundert Prozent verzeichnete. Der Gesamtmarkt habe nur 19,2 Prozent in zwei Jahren zugelegt, wenn man den breitgefassten Aktienindex Wilshire 5000 Total Return heranzieht.

Doch was ist mit den übrigen "Alarmgebern" der Wissenschaftler? Greenwood betont, dass die keine Rolle spielen, sofern das erste Kriterium einer fulminanten Kursrally nicht erfüllt ist. Selbst, wenn man über diese Vereinfachung hinweg sieht, so zeigen die meisten der angeführten Indikatoren ebenfalls kein Warnsignal: Die Marktvolatilität hat sich in den letzten Monaten zurückgebildet statt kräftig zu klettern. Und auch der Prozentsatz an Firmen, die neue Aktien begeben, liegt unter dem historischen Durchschnitt.

Natürlich könne man laut Greenwood nicht ausschließen, dass es in den nächsten Jahren zu einem großen Kursrückschlag kommt. Die Marktbewertungen scheinen auch ihm gegenwärtig recht ambitioniert zu sein. Die Möglichkeit eines Übertritts in einen Bärenmarkt in Erwägung zu ziehen, ist allerdings etwas anderes als zu behaupten, wir befänden uns derzeit in einer Aktienmarktblase. (kb)