Finanzminister Magnus Brunner hat vergangene Woche angesichts der stark steigenden Inflation die Abschaffung der kalten Progression in den Raum gestellt: Ein seit Jahren von vielen Seiten geforderter Schritt, bei dem die Lohnsteuerstufen mit der Inflation mitwachsen. Sein Ressort berechne die Auswirkungen, und eine Arbeitsgruppe, in der die Sozialpartner vertreten sind, erarbeite ein Konzept, so Brunner. Obwohl die Ankündigungen vorerst vage sind, brachten sie dem Finanzminister Zustimmung von Opposition und Markt. Doch das Konzept hat auch Nachteile. Auf diese macht der Finanzrechtler Werner Doralt aufmerksam.

Ein Automatismus wäre ein Problem, weil dieser kommende Regierungen bei der Steuerpolitik unflexibel mache, erklärte Doralt gegenüber der Tageszeitung "Der Standard". "Aber jede Regierung soll Steuerpolitik machen können", wird der emeritierte Professor für Finanzrecht zitiert. Er empfiehlt, derart weitreichende Maßnahmen nicht generell, sondern nur für das jeweilige Haushaltsjahr zu beschließen. "Den Leuten später etwas wegzunehmen ist enorm schwierig, wie sich aktuell an der Pendlerpauschale zeigt", so Doralt.

Kein Spielraum
Als weiteres Beispiel nannte er den Familienbonus und dessen Erhöhung der Schwarz-Grünen Koalition im Vorjahr. Dies wäre nicht möglich gewesen, hätte davor Rot-Schwarz, wie im Regierungsprogramm vorgesehen, die kalte Progression abgeschafft. Einnahmenmäßig wäre dann schlicht keine Manövriermasse vorhanden gewesen.

Auch Arbeitsminister Martin Kocher argumentierte in diese Richtung: Durch einen Automatismus könnten Reformen des Steuersystems anschließend deutlich schwieriger werden, so Kocher beim 14. europäischen Mediengipfel in Lech am Arlberg vergangene Woche. Kritiker der kalten Progression sehen darin hingegen eine "versteckte Steuererhöhung" und ein Körberlgeld für die Regierung, die diese Mehreinnahmen – nicht selten vor einer Wahl – an die Bürger vergeben können.

Gehaltsanpassung und Lohnsteuersteigerung
Die kalte Progression wird durch die Inflation angeheizt. Sie entsteht, wenn Gehälter inflationsangepasst werden aber man dadurch in die nächste Steuerstufe rutscht und dementsprechend höhere Abgaben zahlen muss. Ein Beispiel der Agenda Austria auf Basis eines Bruttoeinkommens von 2.500 Euro im Jahr 2021: Wer über fünf Jahren nur die Inflation ausgeglichen bekam, hat zwar um acht Prozent mehr als 2016, zahlt aber um elf Prozent mehr Lohnsteuer. Länder wie die Schweiz, Schweden oder Norwegen berücksichtigen diese Dynamik und haben Steuermodelle eingeführt, wo die Tarifstufen mit den Nominallöhnen mitwachsen.

Im März stieg die Inflation hierzulande auf 6,8 Prozent. "Das Leben in Österreich hat sich nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine so stark verteuert wie seit über 40 Jahren nicht mehr", fassten die Experten der Statistik Austria vergangene Woche ihre Erhebungen zusammen. Eine Belastung, die die Bürger bereits deutlich wahrnehmen: Neun von zehn Befragten sagten in einer repräsentativen Studie des Ipsos-Instituts, sie spüren die Inflation im Alltag. In anderen Ländern ist es ähnlich: In Frankreich war die Teuerung eines der entscheidenden Themen bei der gestern zuende gegangenen Präsidentschaftswahl. (eml)