Fast immer, wenn in der Vergangenheit die Leitzinsen in den USA gestiegen sind, herrschte in den Schwellenländern Alarm. Jetzt steigen die US-Zinsen einmal mehr. Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, sieht allerdings keinen Grund zur Panik. "Bislang galt es in der Weltwirtschaft fast als Naturgesetz, dass steigende US-Zinsen ein großes Risiko für die Volkswirtschaften der Schwellenländer darstellen. Dich diese Gesetzmäßigkeit lässt sich aktuell widerlegen", sagt er.

Das Problem ist, dass sich viele Emerging Markets traditionell in US-Dollar finanzieren. Klettern die Zinsen in den Vereinigten Staaten, steigen auch die Kosten des Schuldendienstes. "Kritisch wird es jedoch erst dann, wenn zusätzlich zu steigenden Zinsen der US-Dollar aufwertet. Denn dann werden nicht nur Zinszahlungen teurer, sondern zudem steigt das absolute Schuldenniveau", erklärt Galler.

Schwellenländer emanzipieren sich
Zwar ist die von Galler beschriebene Situation derzeit gegeben. Die boomende US-Wirtschaft und die restriktivere Geldpolitik der Fed haben den Dollarkurs in die Höhe getrieben. Die Krisen der Vergangenheit dürften sich jetzt trotzdem nicht wiederholen, sagt der Experte. Grund: die verbesserte Leistungsbilanzsituation vieler Schwellenländer. "Seit der Asienkrise haben sich in zahlreichen Ländern lokale Anleihemärkte entwickelt, die inzwischen mehr als 80 Prozent des handelbaren Anleiheuniversums vor Ort ausmachen. Die direkte Abhängigkeit von den US-Zinsen ist aus diesem Grund deutlich gesunken", so Galler.

Die Risiken der Dollar-Verschuldung sind ungleich verteilt, sagt Galler. So verzeichnen etwa die Türkei und Argentinien sowohl ein Leistungsbilanzdefizit als auch einen starken Anstieg der Auslandsverschuldung. Andererseits melden viele asiatische Länder nicht nur einen hohen Leistungsbilanzüberschuss, sondern auch eine niedrigere externe Verschuldung. "Selbst wenn ein Land eine verwundbare Zahlungsbilanz hat, bedeutet das noch lange nicht, dass eine Krise unvermeidlich ist", unterstreicht der Stratege. "Solange der Wachstumsausblick und die Firmengewinne gesund sind, werden ausländische Kapitalgeber bereit sein zu investieren." (fp)