In der Nacht vom 14. auf den 15. September 2008 musste Lehman Brothers Insolvenz anmelden. Der Kollaps der US-Investmentbank ließ eine Krise eskalieren, die sich zwar schon abgezeichnet hatte, deren Ausmaß aber die wenigsten erahnt hatten. Zehn Jahre nach diesem einschneidenden Ereignis hat sich FONDS professionell ONLINE bei prominenten Portfoliomanagern umgehört: Wie haben sie die damalige Zeit erlebt? Welchen Fehleinschätzungen sind sie erlegen, und welche Schlüsse zogen sie daraus? Und: Wo lauern heute die größten Risiken für die Finanz- und Wirtschaftswelt?

Die Interviews mit Hendrik Leber, Luca Pesarini, Klaus Kaldemorgen, Henning Gebhardt und Frank Fischer wurden schon veröffentlicht. Zum Abschluss unserer Mini-Serie steht nun Jens Ehrhardt Rede und Antwort, der Gründer der bankenunabhängigen Vermögensverwaltung DJE Kapital.


Herr Ehrhardt, wie haben Sie das dramatische Wochenende der letztlich gescheiterten Lehman-Rettung im September 2008 erlebt? Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der Pleite erfahren hatten?

Jens Ehrhardt: Mir war sofort klar, dass eine 600-Milliarden-Dollar-Pleite eine schwere Belastung für das internationale Finanzsystem sein würde. Mir war auch klar, dass dies ein großer Fehler der USA war. Die Lehre aus der Weltwirtschaftskrise 1929/32 musste sein, keine Banken in Konkurs gehen zu lassen, da die Folgewirkungen für das gesamte System katastrophal sein würden, nicht nur in den USA. Wenn man bedenkt, was später veranstaltet wurde, um das verschuldungsbedingt geschwächte internationale Finanzsystem zu stabilisieren, so ist es umso unbegreiflicher, dass man seinerzeit nicht 100 Milliarden US-Dollar in die Hand genommen hat, um Lehman zu stabilisieren, statt später über vier Billionen US-Dollar via Quantitative Easing ins System schleusen zu müssen. Ich war schon vor September 2008 sehr negativ für die Börsen gestimmt im Hinblick auf die vorangegangene Hochzins-Politik der US-Notenbank und die schlechte Liquiditätslage, so dass die Lehman-Pleite für unsere sehr defensive Anlagepolitik keine Rolle mehr spielte.

Hatten Sie erwartet, dass die Krise so tief reicht und derart um sich greift?

Ehrhardt: Ich hatte die Krise der US-Immobilienbranche rechtzeitig vorausgesehen. Mir war aber nicht klar, in welchem Ausmaß sich deutsche Kreditinstitute bei faulen amerikanischen Immobilientiteln engagiert hatten. Es handelte sich ja immerhin um circa eine Billion US-Dollar. Die Auswirkungen waren somit größer als gedacht.

Welchen Fehleinschätzungen sind Sie damals unterlegen – und was haben Sie daraus gelernt?

Ehrhardt: Ich habe schon immer die monetären Einflussfaktoren für die Börsen am weitaus wichtigsten gehalten. Die Finanzkrise führte dazu, dass ich diesen Faktor nochmals höher gewichtet habe. Ich lernte also, monetäre Einflussfaktoren noch mehr zu berücksichtigen, als ich dies ohnehin schon tat.

Im Rückblick: Wo lief das Krisenmanagement der Notenbanken und Politik gut, in welchen Punkten haben die Verantwortlichen versagt?

Ehrhardt: Die Ursache der Finanzkrise lag in zu hoher US-Verschuldung im Immobilienbereich. Hier hätten die US-Aufsichtsbehörden rechtzeitig bremsen müssen, zumal sich die Krise sehr frühzeitig andeutete. Die deutschen Aufsichtsbehörden hätten bei den Banken – speziell den Landesbanken – keinesfalls den Erwerb von rund einer Billion US-Dollar US-Immobilienanleihen mit getürkter Bonität erlauben dürfen. Die deutschen Institute leiden heute immer noch unter diesem in der Geschichte wohl einmaligen Finanzbetrug.

Die Lehman-Pleite löste eine regelrechte Regulierungsflut aus. Sind die Banken Ihrer Meinung nach inzwischen so stabil, dass sie ein ähnliches Szenario unbeschadet überstehen würden?

Ehrhardt: Amerikanische Banken finanzieren die eigene Wirtschaft nur zu einem Fünftel, in Deutschland und Europa dagegen zu drei Vierteln. Die Banken sind also in Europa in einer verantwortungsvolleren Position als in den USA und damit auch in Krisenzeiten mehr gefordert. Ich denke aber, dass heute besonders in Deutschland die Stabilität wesentlich größer ist als vor zehn Jahren. Das könnte sich allerdings bei einer Gemeinschaftshaftung der europäischen Banken im Hinblick auf die südeuropäischen Kredite ändern. Es ist wichtig, dass sich Deutschland hier nicht in diesen europäischen Schuldensumpf ziehen lässt.

Um die Banken zu retten, mussten die Staaten in großem Stil private Verbindlichkeiten übernehmen. Das führte letztlich zur Schuldenkrise, die immer noch nicht gelöst ist. Wie kann Ihrer Meinung nach ein Ausweg aus dieser Krise aussehen?

Ehrhardt: Durch Bankbeteiligungen und durch Quantitative Easing, auch bei Industrieanleihen, mussten die Notenbanken in den USA und Europa die Konjunktur und das Finanzsystem stützen. Nur die Amerikaner versuchen hier eine Normalisierung, die meiner Meinung nach aber nicht in vollem Umfang möglich sein wird – den Erwerb von Anleihen für über vier Billionen US-Dollar hatte ich bereits erwähnt. Eine Lösung ist hier nicht in Sicht. Höchstens langfristig ein Schuldenerlass bei den von den Notenbanken gehaltenen Titeln.

Die 2008 ausgebrochene Finanzkrise wird nicht die letzte gewesen sein. Was könnte der Auslöser der nächsten Krise sein?

Ehrhardt: Eine neue Euro-Krise könnte ein Auslöser für eine neue Finanzkrise sein. Nicht marktwirtschaftlich fundierte Systeme wie der Euro sind auf die Dauer immer zum Scheitern verurteilt. Die Bail-In-Regulierung könnte in Europa zu einem Bank-Run führen. Auslöser könnte die politische Entwicklung in Italien sein. (bm)