Das Referendum am 23. Juni in Großbritannien hält die Finanzbranche in Atem. Von der Gelassenheit, die Investmentprofis teilweise noch vor wenigen Wochen demonstrativ vor sich hertrugen, ist nicht mehr viel übrig. "Wir sehen in der Abstimmung einen historischen Meilenstein in der politischen Entwicklung der Europäischen Union", sagt René Hermann, Partner bei Independent Credit View in Zürich. "Europa täte gut daran, die Argumente und Bedenken im Rahmen der Debatte zu verfolgen und die notwendigen Schritte abzuleiten. Nur so kann eine Kursänderung erreicht, Begeisterung für das europäische Projekt wieder entfacht und die drohende politische Krise abgewendet werden."

Investoren müssen bei einem Brexit-Schock nicht nur mit kurzfristigem Druck auf das britische Pfund und mit negativen Auswirkungen auf Aktien, Anleihen und Immobilienpreise in Großbritannien rechnen. Das Risiko, dass Trittbrettfahrer ihrerseits über einen EU-Exit nachdenken, dürfte auch die Volatilität an den europäischen Finanzmärkten sprunghaft ansteigen lassen, warnt Hermann. "Auf der anderen Seite dürfte bei einem klaren Votum der Briten zum Verbleib in der EU die Erholungsrally nicht von Dauer sein", sagt er.

Schluss mit der Ruhe
Der Anlageprofi hält einen Transformationsprozess in der EU für notwendig – und rechnet damit, dass es eine holprige Fahrt wird. "Immer mal wieder wird ein Mitgliedstaat sich oder seinen Bürgern die Frage stellen, ob der eingeschlagene Kurs noch der richtige ist", warnt er. "Daher erwarten wir, dass auch nach einem unspektakulären Ausgang der Abstimmung in Großbritannien mittel- bis langfristig die vermeintliche Ruhe und Einigkeit in Europa künftig vermehrt von Perioden hoher Volatilität überschattet sein wird." (fp)