Das Institut für Höhere Studien (IHS) erwartet, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins bis Ende des Jahres 2024 in mehreren Schritten auf drei Prozent gesenkt haben wird. Das sagte der Ökonom Klaus Weyerstraß bei einer Tagung der Vereinigung Österreichischer Investmentgesellschaften (VÖIG) in St. Pölten.

Zu sehr auf etwaige Zinsprognosen verlassen sollten sich Marktteilnehmer momentan allerdings nicht. Die Drei-Prozent-Einschätzung sei mit "höchster Unsicherheit behaftet", betonte Weyerstraß. Er verwies auf die nicht eindeutigen Konjunktur- und Inflationssignale. Zwar sei die Inflation stark gesunken, jedoch habe sich der Rückgang der Teuerung zuletzt verlangsamt, die Kerninflation sei noch immer hoch, warnte der Ökonom. Ein gewisser Inflationsdruck werde in Europa außerdem schon allein wegen der Energiepreise konstant bleiben. Gas koste in Europa noch immer deutlich mehr als vor dem Krieg in der Ukraine, und vor allem sei es auch weiter teurer als in anderen Weltregionen. Anzeichen für eine Änderung sieht Weyerstraß nicht. "Wir gehen davon aus, dass der Gaspreis in Europa dauerhaft erhöht bleibt, das wird die Wirtschaft in Europa längerfristig beeinflussen", so der IHS-Ökonom.

Industrieproduktion seit Einführung der Währungsunion stark
Bitter ist die Situation auch deshalb, weil damit eine selten erwähnte Erfolgsstory gekappt wird. Seit Start der Währungsunion im Jahr 1999 habe sich die Industrieproduktion "in Österreich weitaus besser entwickelt als im Euroraum und in Europa insgesamt wiederum besser als in den USA", betonte Weyerstraß. Nun gerate aber besonders die energieintensive Industrie stark unter Druck.

Am Verhalten der EZB kritisiert er wie viele Ökonomen, dass die Zinssteigerungen zu spät gekommen seien. Vor allem seien die Anleihenkäufe zu umfangreich erfolgt und der Ausstieg gehe zu langsam. Die EZB sei gut beraten, die Zinssenkungen schnell – also bei der nächsten Sitzung im Juni – einzuleiten und beim Abbau der Anleihenholdings rascher vorzugehen.

Kapitalmarktunion
Abseits der Zinspolitik brauche es weitere Schritte, um die Wirtschaft am Kontinent zu unterstützen. "Was die Konjunktur in Europa stärken würde, wäre ein einheitlicher Kapitalmarkt", so Weyerstraß, der auf die hohen Geldmittel verwies, die zur Finanzierung der grünen Wende nötig sind. "Es wäre gut, wenn die internationalen Investoren die EU als einheitlichen Kapitalmarkt wahrnehmen würden", so der IHS-Experte.

Was die weiteren Bedingungen für Staatsanleiheninvestoren betrifft, geht Weyerstraß davon aus, dass sich die momentan inverse Zinskurve (Langläufer sind teils geringer verzinst als Kurzläufer) verflacht: So soll etwa der Zins bei den zehnjährigen österreichischen Staatsanleihen am Jahresende genauso bei ungefähr drei Prozent zu liegen kommen wie jener bei den kürzer laufenden Anleihen. Eine Situation, in der Anleger besonders genau die Signale von Konjunktur und Zinspolitik evaluieren werden. 

Stimmung steigt weltweit
Global sei die wirtschaftliche Lage momentan durchwegs besser als in Europa. Die Stimmungsindikatoren in den meisten Regionen hätten sich in den jüngsten Erhebungen in den positiven Bereich bewegt. Mit Ausnahme Europas. Auch die globale Industrieproduktion habe sich leicht verbessert, und im Warenhandel, der im vierten Quartal schwach war, gebe es zu Jahresbeginn Anzeichen für eine Erholung. (eml)