Die traditionelle Börsenlogik "steigende US-Zinsen = steigender US-Dollar = fallende Edelmetallpreise“ hat am Dienstag dafür gesorgt, dass der Goldpreis mehr als 3,3 Prozent verlor. Neben charttechnischen Gründen (eine Unterstützungslinie wurde gerissen) sorgten auch markttechnische Gründe (Long-Positionen auf Gold-Futures von Spekulanten befinden sich in der Nähe eines Mehrjahreshochs) dafür, dass Investoren ihre Goldpositionen schlossen oder zumindest absicherten.

Was hat sich von Montag auf Dienstag geändert? Einerseits ließen zwei Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed durchblicken, dass höhere Leitzinsen erwünscht und geplant seien. Entgegen des breiten Marktkonsens‘ könnte bereits im November, und nicht nur im Dezember, ein zusätzlicher Zinsschritt nach oben erfolgen. "Die Kurz- und Langfristzinsen in den USA zogen darauf an, der Goldpreis gab nach“, erklärt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Degussa, in einer aktuellen Kurzanalyse.

Für zusätzlichen Verkaufsdruck sorgte eine Agenturmeldung, dass die EZB andenke, bei ihrem QE-Programm den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, also weniger Anleihen monatlich zu kaufen, um damit höhere Zinsen und Inflationsraten zu erzielen um auf diese Weise den unter Negativzinsen leidenden europäischen Banken unter die Arme zu greifen.

US-Zinsanstieg macht Edelmetallfans zu schaffen

Goldpreis je Feinunze in US-Dollar (rechte Skala) im Vergleich zur Umlaufrendite zweijähriger US-Treasuries; Quelle: Bloomberg

Zeigt die EZB Einsicht?
Laut Polleit sei es vorstellbar, dass das Mitteilungsbedürfnis einiger EZB-Ratsmitglieder die Märkte auf eine falsche Fährte gesetzt hat. Dem gegenüber steht jedoch die Einsicht, dass die EZB eine Politik der nominalen Null- oder gar Negativzinsen in der Tat nicht dauerhaft durchführen kann – denn die ohnehin angeschlagenen Euro-Banken gerieten in noch größere Bedrängnis.

Daher sei es nach Ansicht Polleits durchaus ein mögliches Szenario, dass die EZB sich tatsächlich abkehren will von einer Politik der nominalen Null- und Negativzinsen bei niedriger Inflation – und stattedessen versucht, auf eine Politik der nominal leicht positiven Zinsen, verbunden mit etwas höherer Inflation umzuschwenken.

Damit die nominalen Kapitalmarktzinsen leicht steigen, müsste die EZB weniger Schuldpapiere kaufen als bisher. Sobald die gewünschte Zinshöhe erreicht ist, bei der die Banken wieder Gewinne erzielen, "friert“ die EZB die Zinsen ein. "Um den Realzins nahe oder unter der Nulllinie zu halten, muss die EZB jedoch die Inflation ansteigen lassen“, merkt Polleit an. "Dass die Zinsen in realer Rechnung,das heißt nach Abzug der Inflation, wieder über die Nulllinie rutschen, erscheint uns unwahrscheinlich. Dazu sind die Verschuldungsprobleme zu groß geworden. Und die Idee, die Schuldenlasten mit einem Realzins von null Prozent zu refinanzieren – beziehungsweise mit einem negativen Realzins zumindest zum Teil zu entwerten – ist politisch allzu verlockend.“

Gold kurzfristig unter Druck, langfristig interessant
Der gestrige Preisrutsch der Edelmetallpreise markiert aus Polleits Sicht jedoch kein Ende des langfristigen Goldpreisanstiegs: "Was auch immer die Zentralbanken den Märkten signalisieren: Sie werden die Kredit- und Geldmengen weiterhin ausweiten und die Zinsen – in realer Rechnung – niedrig halten. Nur so lassen sich die Konjunkturen in Gang und die Preise auf den Finanzmärkten hoch halten. Das damit verbundene Anschwellen der Geldmengen spricht für einen im Trendverlauf weiter steigenden Goldpreis.“ 

Der bekennende Gold-Bulle Polleit ist derzeit etwas vorsichtig gestimmt. Zwar sei Gold seiner Ansicht nach billig, eine rasche Goldpreiserholung sei aber nicht unmittelbar zu erwarten. "Die anhaltende Unsicherheit über den Kurs der Geldpolitiken könnte auch weitere Rücksetzer nach sich ziehen.“

Langfristig sind Edelmetalle für Polleit ein klarer Kauf: "Für Anleger jedoch, die langfristig orientiert sind – die mit einem Horizont von einem oder mehr Jahren ihr Geld anlegen – dürfte der aktuelle Gold- und auch Silberpreis ein attraktives Einstiegsniveau bieten. Langfristig orientierte Anleger sollten den Preisrutsch nicht als Entmutigung, sondern als Ermutigung ansehen, um sich im Edelmetallmarkt zu positionieren.“ (aa)