Die Inflation ist gekommen, um für eine ganze Weile zu bleiben. Diese Überzeugung vertrat James Ashley, Leiter Marktstrategie Europa und Asien bei Goldman Sachs Asset Management, in seinem Vortrag beim 21. FONDS professionell KONGRESS in Mannheim. "In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Finanzmärkte auf extrem niedrige Zinssätze gestützt", sagte Ashley. "Das hat das Wachstum angeheizt und die Bewertungen an den Aktienmärkten stetig nach oben getrieben", erklärte er.

In den zwei zurückliegenden Dekaden sei die Wirtschaft in den Industrieländern von strukturellen disinflationären Kräften getrieben worden. "Die Globalisierung schritt immer weiter voran, die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter vergrößerte sich ständig", nannte Ashley nur zwei Beispiele. Die disinflationären Kräfte erlaubten es den Zentralbanken, die Zinssätze auf Tiefstständen zu halten.

Umkehr der Kräfte
"Jetzt aber leben wir in einer Zeit, da sich diese Kräfte umkehren, und auch die Zentralbanken haben im vergangenen Jahr verstanden, dass die Inflation kein vorübergehendes Phänomen ist", konstatierte der Goldman-Sachs-Experte. Als wichtigen Treiber für eine anhaltend hohe Teuerungsrate nannte Ashley die Dekarbonisierung. Angesichts des nicht mehr von der Hand zu weisenden Klimawandels sei der Übergang zu einer CO2-neutralen Welt unumgänglich

"Doch die Schritte dorthin kosten viel Geld, das treibt die Inflation an", sagte Ashley. 
Als zweiten Faktor führte er die Deglobalisierung an. Die Spannungen zwischen den wichtigsten Volkswirtschaften der Welt sowie die durch die Corona-Pandemie unterbrochenen Lieferketten hätten Unternehmen klar gezeigt, dass sie sich in der Produktion nicht nur auf einige wenige Länder verlassen, sondern ihre Lieferketten stattdessen breiter diversifizieren sollten. "Das wiederum erhöht aber die Betriebskosten, das ist teuer und befeuert die Inflation", so Ashley.

Faktor demografischer Wandel
Auch im demografischen Wandel, der sich in den meisten Industrieländern aktuell vollzieht, sieht der Leiter Marktstrategie Europa und Asien die Umkehr einer bisherigen disinflationären Kraft. "Vor allem in Europa konnten wir uns über viele Jahrzehnte hinweg über eine ständig wachsende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter freuen", sagte Ashley. Nun aber geht die Generation der "Baby Boomer" allmählich in Rente. 

"Menschen, die in den Ruhestand gehen, haben einen ganz anderen wirtschaftlichen Einfluss", erklärte der Ökonom. "Sie hören auf zu produzieren, die Angebotsseite der Wirtschaft wird stärker in Mitleidenschaft gezogen als die Nachfrageseite, und das wirkt sich auf die Inflation aus", erläuterte er. Die derzeitige Dynamik sei also keineswegs nur eine kurzfristige Erscheinung, sondern durch einschneidende strukturelle Veränderungen hervorgerufen. "Ich bin daher fest davon überzeugt, dass die Inflation noch längst nicht besiegt ist", sagte Ashley. 

Schwellenländer bieten Chancen
Doch wo Schatten ist, ist auch Licht, wo wirtschaftliche Herausforderungen bestehen, lassen sich auch neue Investmentchancen finden. "So werden etwa die Schwellenländer mit ihren niedrigeren Arbeitskosten sicherlich von einer breiteren Aufstellung der Lieferketten durch die Unternehmen profitieren", glaubt Ashley. Europa und andere entwickelte Märkte würden zwar altern, viele Emerging Markets seien in ihrer Dynamik aber noch sehr jung. "Sie wachsen geradezu aggressiv, das bietet Opportunitäten für Anleger", so der Goldman-Sachs-Mann.

Für China erwartet er nach dem Ende der Null-Covid-Politik und der Wiederöffnung in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von bis zu sechs Prozent. Die indische Wirtschaft mache heute zwar nur einen Bruchteil der chinesischen aus, aus einer langfristigen Wachstumsperspektive betrachtet, sei das Land aber ebenfalls attraktiv.

Gelegenheiten im Gesundheitssektor
Im aktuellen Umfeld sieht Ashley sowohl zyklische als auch strukturelle Investmentgelegenheiten. Auf der zyklischen Seite hält er im Aktienbereich etwa Papiere aus defensiven Branchen wie dem Gesundheitswesen oder dem Energiesektor für aussichtsreich. Strukturell betrachtet würde Ashley Konsumgüteraktien ins Portfolio nehmen, Titel von Unternehmen, die von der Digitalisierung profitieren, sowie ebenfalls Papiere aus dem Gesundheitsbereich. Auf der Fixed-Income-Seite sieht er zyklisch kurzlaufende Staatsanleihen, strukturell Green Bonds. (am)