Benjamin Silver, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter Pzena Investment Management, traut Value-Aktien große Kursgewinne zu. Trotz der jüngsten Aufholjagd seien diese Titel "immer noch außerordentlich günstig, insbesondere wenn man sie mit Wachstumstiteln vergleicht", schreibt er in einem aktuellen Marktkommentar.

Die "Bewertungslücke" zwischen Value- und Growth-Aktien habe sich nach der deutlichen Outperformance der Value-Titel zwar verringert, aber das absolute Niveau bleibe attraktiv: Der MSCI AC World Value Index werde mit einem Abschlag von 50 Prozent gegenüber dem Growth-Index gehandelt, was deutlich über dem durchschnittlichen Abschlag von 29 Prozent in den letzten 20 Jahren liege. "Auf Basis des Kurs-Buchwert-Verhältnisses ist der Abschlag mit 64 Prozent sogar noch höher", rechnet Silver vor.

"Überzeugende Ausgangslage für Value-Titel"
Hinzu komme, dass der aktuelle "Pro Value"-Zyklus erst im Oktober 2020 begann, also noch recht jung sei. Von einem solchen Zyklus spricht Pzena Investment Management, wenn Value-Titel den breiten Markt mindestens ein Jahr lang um mehr als 15 Prozent übertreffen. Die sechs vorangegangenen Marktphasen mit Value-Outperformance hätten im Durchschnitt jeweils etwa fünf Jahre angehalten, so Silver. "Auch wenn es keine feste Regel gibt, wie lange ein Value-Zyklus andauert, erscheint die Ausgangslage für Value-Titel überzeugend, wenn man die Bewertung und frühere Zeitspannen zugrunde legt", meint der Portfoliomanager.

Silver räumt ein, dass angesichts der Rezessionsängste in den Köpfen der Marktteilnehmer der weitere Weg für Aktien ungewiss erscheine. Allerdings seien die meisten Aktienmärkte im Jahr 2022 im Vergleich zum Höchststand um etwa ein Viertel gefallen, während die Unternehmen ihre Gewinne in allen Regionen mit Ausnahme der Schwellenländer steigern konnten. "Das bedeutet, dass die Indexrückgänge vor allem auf die Anlegerstimmung zurückzuführen sind", so Silver. Zwar könnten die Unternehmensgewinne in diesem Jahr tatsächlich schrumpfen, doch das hätten die Aktienmärkte bereits zu einem großen Teil vorweggenommen.

Chancen im "Epizentrum der wirtschaftlichen Schmerzen"
Besonders heftig seien die Bewertungen in Europa gefallen, "dem Epizentrum der wirtschaftlichen Schmerzen", wie es Silver formuliert. Dort würden Value-Aktien "auf dem Niveau einer tiefen Rezession" gehandelt werden. "Das makroökonomische Umfeld ist heute zwar keineswegs rosig, aber mit wesentlich besseren Bilanzen von Unternehmen und Verbrauchern auch nicht annähernd so düster wie 2008", erinnert der Fondsmanager.

"Viele europäische Unternehmen sind weltweit tätig und erzielen Umsätze auf der ganzen Welt, aber sie werden von Anlegern ignoriert, nur weil sie in Europa ansässig sind", argumentiert Silver. Dabei böten ihre diversifizierten Einnahmeströme einen Puffer gegen europaspezifische Probleme, und der schwache Euro verschaffe ihnen sowohl Kosten- als auch Umsatzvorteile gegenüber der US-Konkurrenz. "Das sind aus Sicht eines Deep-Value-Investors ideale Bedingungen für den Kauf starker Unternehmen, die kurzfristige Turbulenzen überstehen und sogar gestärkt aus dem Abschwung hervorgehen können", so Silvers Fazit. (bm)