Monat für Monat verzeichnet die Eurozone neue Inflationsrekorde. Doch während anderenorts Bewegung in die Geldpolitik kommt, belässt die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen unverändert auf Tiefstniveau. Die Inflation einfach laufen zu lassen, ist allerdings keine überzeugende Option, schreibt der Kölner Vermögensverwalter Flossbach von Storch in einem aktuellen Marktkommentar. Schließlich erhöhe Nichtstun die Wahrscheinlichkeit dauerhaft anziehender Teuerungsraten. 

In der Eurozone erreichte die jährliche Inflationsrate im März 2022 mit 7,5 Prozent einen neuen Rekordwert. Damit liegt sie nun auf einem noch höheren Niveau als im Vereinigten Königreich, wo sie im Februar 6,2 Prozent erreichte. Auf den ersten Blick überrasche es daher, dass die EZB bisher nicht einmal einen Termin für eine erste Zinserhöhung in Aussicht stellt, während die Bank of England (BoE) bereits drei Schritte nach oben vollzogen hat, schreiben die Flossbach-Experten. Ein tiefergehender Blick in die Daten zeige allerdings, dass an dieser Stelle Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Kerninflation im Fokus
Für die Notenbanker zähle schließlich nicht nur die aktuelle Teuerungssrate. "Vielmehr müssen sie sich auch ein Bild darüber machen, wie nachhaltig eine Inflationsentwicklung einzuschätzen ist", heißt es in dem Marktkommentar. Dazu klammerten sie die stark schwankenden Energiepreise gerne aus und betrachteten nur die Kerninflation. Hier zeigt sich, dass die Teuerung in der Eurozone bislang deutlich stärker von der Energiepreisentwicklung getrieben wurde, als dies in den USA oder in Großbritannien der Fall ist. 

Auch weitere Indikatoren deuten den Experten zufolge auf einen höheren Inflationsdruck in den USA und im Vereinigten Königreich hin. So wirke der Arbeitsmarkt in beiden Ländern deutlich angespannter. Das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale und eines nachhaltig höheren Inflationsniveaus erscheine im Euroraum zum jetzigen Zeitpunkt weniger wahrscheinlich als in den anderen beiden Währungsräumen. "Noch gibt es also gute Gründe, warum die EZB, verglichen mit den Notenbanken der USA und des Vereinigten Königreichs, bislang eher zurückhaltend auf die Inflationsdynamik reagiert hat", schreiben die Experten. 

Kein einfacher Ausweg 
Wie lange sich die EZB allerdings noch in Zurückhaltung üben kann, sei unklar. Für die Notenbanker im Euroraum bleibe die Lage misslich: Wenn sie der Inflation glaubhaft entgegentreten möchten, müssten sie mögliche Kollateralschäden in der Wirtschaft akzeptieren. Ein Dilemma, aus dem die Flossbach-Analysten keinen einfachen Ausweg sehen. (am)