Nach Jahren der Niedrigzinsen leiteten die Notenbanken eine Wende ein. Sie heben die Leitsätze an und wollen so die grassierende Inflation einhegen. Viele Beobachter kritisierten, dass die Währungshüter viel zu spät umschwenkten. Doch die hohen Teuerungsraten sind schon nicht mehr das Problem, meint Beat Thoma, Investmentchef der Schweizer Investmentboutique Fisch Asset Management, im Interview mit FONDS professionell ONLINE. Vielmehr drohe, dass die Zentralbanken in die andere Richtung übertreiben – und Wirtschaft wie Finanzmärkte abwürgen.

Herr Thoma, die Aktienmärkte scheinen wieder Mut zu fassen, die Kurse klettern. Schließen Sie sich der optimistischen Stimmung an?

Beat Thoma: Nein, ich bin eher skeptisch für die Entwicklung der Aktienmärkte gestimmt. Denn die Zentralbanken agieren zu restriktiv. Sie treiben die Wirtschaft in eine Rezession. Die Geldmengen schwinden bereits, doch die Notenbanken straffen noch weiter. Wenn die Geldmenge sinkt, ist das schlecht für die Aktienmärkte: Die Kurse fallen. Die Notenbanken haben in einen monetären Overkill-Modus geschaltet.

Viele Ökonomen sehen aber Signale dafür, dass der Abschwung nicht so schlimm ausfällt wie befürchtet.

Thoma: Die Geldmenge deutet auf etwas anderes hin. Sie bestimmt die Entwicklung von Konjunktur, Inflation und Aktienmärkten. Die Geldmenge hat sich in der Vergangenheit stets als zuverlässiger, zugleich aber simpler Indikator erwiesen. Alle anderen Wirtschaftsdaten sind nur Beigemüse.

Das gilt auch für die Inflation?

Thoma: Da die Geldmenge schrumpft, werden auch die hohen Teuerungsraten zurückgehen. Sie pendeln sich bald auf einem Niveau von etwas mehr als zwei Prozent ein. Alles ordnet sich der Geldmenge unter. Zuletzt schien sie aber in Vergessenheit geraten zu sein. Die Finanzmarktteilnehmer achteten nur auf die Zinsen. Dabei bedingt die Geldmenge die Zinsen.

Die Währungshüter erwiesen sich in den vergangenen Jahren als erfinderisch, was die Notenbankpolitik angeht. Könnten Fed, EZB und Co. neue Instrumente aus dem Hut ziehen?

Thoma: Neue Werkzeuge der Notenbanken ändern nichts an der grundlegenden Entwicklung. Wenn man das Wasser aus einem Fass lässt, dann sinken alle Schiffchen, die in dem Fass schwimmen. Aber natürlich ist es denkbar, dass die Notenbanken ihre Bilanz verkürzen, ohne dabei die Geldmenge zu reduzieren und damit der Konjunktur Schaden zuzufügen.

Wie weit sind die Zentralbanken mit dem Bilanzabbau?

Thoma: Die US-Notenbank Fed hat bereits Staatsanleihen verkauft, damit ihre Bilanz verkürzt und die Geldmenge reduziert. Die Europäische Zentralbank hat formal die Geldmenge zwar noch nicht gesenkt, praktisch aber schon. Die Banken haben bereits in erheblichem Umfang Refinanzierungsvehikel, die TLTRO-Kredite, zurücküberwiesen. Doch die Banken bezahlten dies mit ihren Überschussreserven bei der EZB. Auf dem Papier ist das eine sich ausgleichende Buchung. Doch faktisch zog die EZB 850 Milliarden Euro aus dem Finanzkreislauf. Die Geldmenge ist damit noch nicht gesunken, aber die Überschussreserven fehlen den Banken. Das kann zum Verhängnis werden.

Inwiefern?

Thoma: Wir erleben eine Phase, in der Aktien gut laufen. Doch zugleich trocknet die Liquidität aus. Im System baut sich eine Spannung auf. Im Zuge der Zinserhöhungen ist bereits eine Normalisierung erreicht. Doch die Notenbanken straffen weiter. Eine monetäre Krise braut sich zusammen, doch diese hat auch einen positiven Aspekt.

Welchen?

Thoma: Eine monetäre Krise kann auch monetär gelöst werden. Die Notenbanken müssen nur rechtzeitig und beherzt die Zinsen senken. Doch bis es soweit kommt, kann es für die Aktienmärkte und die Konjunktur schmerzhaft werden. Die Zentralbanker wollen die Teuerung eindämmen, die Stabilität der Finanzmärkte ist aus ihrem Blickfeld gewichen. Unter den Notenbankern grassiert die Angst, dass sie von Inflationserwartungen überrollt werden. Daher sind sie eher bereit, eine Rezession und eine steigende Arbeitslosigkeit zu riskieren, als die Teuerung aus dem Ruder laufen zu lassen.

Erwarten Sie in der Folge einen Kurseinbruch bei Aktien?

Thoma: Das ist möglich. Die Reaktion der Notenbanken auf Stress im Finanzsystem wird später erfolgen, als wir es in der jüngsten Zeit gewohnt waren. Erst wenn die Aktienmärkte um 20 oder 30 Prozent einbrechen, wird die Fed zu Notfallmaßnahmen ergreifen. Zuletzt hatte sie schon bei Einbrüchen von zehn Prozent eingegriffen.

Wann rechnen Sie mit einem Verfall von Konjunktur und Aktienmärkten?

Thoma: Die Entwicklung ist schwer vorauszusehen. Das ist, wie mit einem Boot durch den Nebel zu navigieren. Man muss die Strömung und den Wind deuten und schätzen, ob sich die Richtung ändert. Die Parameter weisen jedenfalls auf eine Abschwächung hin. Die geldpolitischen Risiken sind zugleich hoch. Der Verfall kann schleichend erfolgen. Wirtschaft und Aktienkurse bröckelten in der Vergangenheit in solchen Phasen erst langsam weg, bis es am Ende zum großen Krach kam.

Was empfehlen Sie in dieser Lage?

Thoma: Staatsanaleihen und solide Unternehmenspapiere sind gute Investitionen. Riskanter sind Hochzinsanleihen und Aktien. Wer aber glaubt, dass es zu einer raschen Erholung nach einem Einbruch kommt, kann Rücksetzer schon mal nutzen, um Positionen aufzubauen und die Erholung voll mitzunehmen.

Vielen Dank für das Gespräch. (ert)