Herr Thoma, sind Sie eher Konjunkturskeptiker oder Optimist?

Beat Thoma: Langfristig bin ich zuversichtlich. Die Weltwirtschaft ist auf dem Weg zu einer Normalisierung. Das globale Wirtschaftswachstum wird langfristig solide, aber etwas niedriger sein als in den Jahren vor der Pandemie. Zugleich dürften die Inflation sowie die kurz- und langfristigen Zinsen etwas höher liegen. Das stellt kein hervorragendes Umfeld dar, aber es erlaubt vernünftige Erträge auf Aktien und Anleihen. Das Problem ist der Weg in dieses neue Gleichgewicht.

Was meinen Sie?

Thoma: Bis zur Erreichung des neuen Gleichgewichts rechnen wir mit starken Turbulenzen mindestens bis Jahresende. Denn die einzelnen volkswirtschaftlichen Variablen werden im Übergang auch einmal unter- und überschießen. In den USA erwarte ich einen nachlassenden Arbeitsmarkt und ein geringeres Wirtschaftswachstum. Von fünf Prozent BIP-Wachstum ging es auf drei Prozent, Ende des Quartals sind wir vielleicht bei 1,5 oder zwei, und irgendwann stecken die USA in der Rezession, Europa ist ja schon nahe dran. 

Die Märkte sehen das aber optimistischer als Sie.

Thoma: Das ist ein Teil des Problems. Die Märkte preisen vor allem in den USA den Best Case ein – das perfekte Soft Landing. Kommt es dann zu Abweichungen, ist die Enttäuschung umso größer. 

Also Risiken am Aktienmarkt?

Thoma: In erster Linie am Aktienmarkt, aber auch bei Anleihen sehe ich mögliche Risiken, wenn die US-Konjunktur und der Arbeitsmarkt wirklich nachlassen. Im schlechtesten Fall kann es durchaus zu vorübergehenden Marktverwerfungen kommen.

Und dazu kommt noch die anstehende US-Wahl.

Thoma: Die Erfahrung zeigt, dass Wahlen in aller Regel wenig Einfluss auf die Börsen haben.

Vielleicht ist das diesmal anders, wenn der Sieger wieder Donald Trump heißt.

Thoma: Das glaube ich nicht. Rein wirtschaftlich betrachtet war seine Wirtschaftspolitik gar nicht so schlecht. Klar, das Budget ist angestiegen, aber das lag auch an Corona. Außenpolitisch machten auch die Demokraten in den vergangenen Jahren sehr viele Fehler. Unterm Strich haben sich beide Parteien extrem verschlechtert in den letzten zehn Jahren – die Amerikaner haben quasi die Wahl zwischen zwei Übeln. Aber wie gesagt, am Ende wird die Politik keine große Rolle spielen.

Und beim US-Defizit, das immer weiter aus dem Ruder läuft?

Thoma: Vielleicht wäre Trump in den ersten beiden Jahren bei den Ausgaben sparsamer. Allerdings haben die USA das Schuldenniveau bereits überschritten, bei dem man das Defizit noch deutlich reduzieren kann.

Was heißt das für die US-Staatsanleihen?

Thoma: Das erhöht den Aufwärtsdruck auf die langfristigen Zinsen. Wenn sich die Wirtschaft aber wie von mir erwartet abschwächt, wird das den Druck zunächst abmildern, weil auch die Inflation nachlässt. Wenn die Langfristzinsen doch zu stark ansteigen, wird auch die Fed wieder einspringen und Staatsanleihen kaufen. Der Schmerzpunkt dafür dürfte bei etwa fünf Prozent liegen. 

War Quantitative Easing (QE) also keine historische Ausnahme?

Thoma: Nein, aber es käme diesmal zur falschen Zeit. QE funktioniert gut bei deflationären Tendenzen. Nach der Finanzkrise hatten wir eine massive Deflation, da war QE sinnvoll, nicht inflationär und wurde von der Fed perfekt umgesetzt. In der Pandemie wurden dann Fiskal- und Geldpolitik gleichgeschaltet und die Rezessionsbekämpfung übertrieben. Das war der große Fehler, denn in dieser Situation führte QE zu einer massiven Liquiditätsgenerierung. Wird QE in Phasen starker Inflation eingesetzt, hat es katastrophale Nebenwirkungen.

Viele Länder versuchen, sich aus dem US-Währungssystem zu lösen. Welche Konsequenzen hat das für die US-Anleihen?

Thoma: Chinesen und Japaner haben bereits massiv Dollar verkauft und möchten sich von US-Staatsanleihen unabhängiger machen. Damit fällt eine große Käufergruppe für US-Staatsanleihen weg. 

Die BRIC-Länder um Brasilien, Russland, Indien und China wollen sogar eine eigene Währung.

Thoma: Eine Währung mit Golddeckung. Aber die BRIC-Länder sind erstens untereinander zerstritten und sie haben zweitens viel zu wenig Gold, um die Währung glaubhaft zu hinterlegen. Das Vertrauen in eine solche Währung wäre von Anfang an nicht vorhanden. In Krisen könnte man zudem keine zusätzliche Liquidität nachschießen. Das ist ähnlich wie bei der Weltwirtschaftskrise 1929. 

Ist also keine Konkurrenz zum Dollar in Sicht?

Thoma: Hätte China unter Xi Jinping den wirtschaftspolitischen Kurs seiner Vorgänger fortgesetzt, dann wäre heute der Renminbi frei konvertierbar und China wäre ein offener und akzeptierter Handelspartner sowie eine ernsthafte Konkurrenz für die US-Wirtschaft und den Dollar. Aber weil man genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen hat, kommt der Renminbi überhaupt nicht in Frage als Leitwährung. 

Wann wird die Fed die Zinsen senken?

Thoma: Powell wird dann die Zinsen senken, wenn der Arbeitsmarkt nachgibt, vorher nicht. Der Lohndruck ist zuletzt aber nochmals gestiegen. Dabei ist der Arbeitsmarkt aber bereits jetzt viel schwächer als es oberflächlich scheint. Dazu kommt, dass die Geldschöpfung im Bankensystem derzeit noch hoch ist, während die Geschäftsbanken ihre angestauten Reverse Repos abbauen. Aber in etwa drei Monaten sind die bei null, dann wirkt die US-Geldpolitik viel restriktiver und ab da wird es ungemütlicher.

Was erwarten Sie von der Europäischen Zentralbank (EZB)?

Thoma: Europa hat eine schwache Wirtschaft und zugleich enormen Lohndruck, der Zweitrundeneffekte auslösen wird; wir gehen entsprechend in Richtung einer Stagflation. Wenn die EZB also zu früh lockert, erhöht sich die Inflation wieder. Die EZB ist noch dazu restriktiver als die Fed. Ich denke eher, dass die EZB erst im Windschatten der Fed die Zinsen senken wird.

Was bedeutet das für die Euro-Anleihen?

Thoma: Die Euro-Zinsen dürften sowohl am kurzen wie am langen Ende sinken. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen dürften je nach Konjunkturverlauf auf zwei Prozent sinken, in der Rezession auch deutlich darunter. Für Euro-Staatsanleihen ist das ein gutes Umfeld. Auch Investment-Grade-Unternehmensanleihen sind eine Idee. Da dürften zwar die Spreads ansteigen, aber das sinkende Renditeniveau wird das überkompensieren. 

Für die Aktienmärkte sind Sie zurückhaltend?

Thoma: Die Aktienmärkte sind auf Höchstständen, da ist wie gesagt das Beste eingepreist. Eine euphorische Marktstimmung trifft auf schrumpfende Liquidität und abnehmende Geldmenge. Das ist kurzfristig ein gefährlicher Mix. Rein aus Marktsicht – also ohne steuerliche Aspekte – würde ich Aktien komplett umschichten in Wandelanleihen. 

Warum Wandelanleihen?

Thoma: Im Moment sind Wandelanleihen sehr günstig bewertet im Vergleich zum globalen Universum. Die Aktienkurse vieler kleiner und mittlerer Emittenten haben stark gelitten und sind nun hoch attraktiv. Aktienexposure würde ich deshalb im aktuellen Umfeld zu 100 Prozent über Wandelanleihen darstellen. Auch Wandelanleihen geben in der Rezession nach, aber deutlich weniger als Aktien – und natürlich sollte man auch bei Wandelanleihen auf das Rating der Emittenten achten. 

Vielen Dank für das Gespräch. (jh)