Die Europäische Zentralbank (EZB) spielt in der Geldpolitik auf Zeit, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ). Die Notenbank will die Leitzinsen nun nicht mehr "shortly" ("bald") nach dem Ende der Anleihekäufe anheben, sondern "some time after" ("einige Zeit danach"), teilte ihr oberstes geldpolitisches Gremium mit: der EZB-Rat. Die Währungshüter änderten die entsprechenden Formulierungen in ihrer offiziellen Sprachregelung. Möglicherweise will die EZB das Ende der Anleihekäufe aber vorziehen. Sie nennt dafür das dritte Quartal, also den Zeitraum von Juli bis September. Was die Umformulierung konkret bedeutet, dazu äußerte sich die EZB nicht. "Einige Zeit später kann sowohl in der Woche danach als auch Monate später bedeuten", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

So will sich die Notenbank Spielräume verschaffen, um flexibler auf die Auswirkungen des Ukrainekriegs reagieren zu können, analysiert die "FAZ". EZB-Präsidentin Lagarde reagiert demnach datengetrieben und will keinen exakten Zeitplan aufstellen. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bezeichnete das angekündigte Ende der Anleihekäufe als "ersten Schritt, die sehr lockere Geldpolitik zu normalisieren". Er glaubt aber, dass es bis zur ersten Zinserhöhung noch ein langer Weg sein könnte. Ulrike Kastens stimmt dem zu: "Im Gegensatz zur US-Notenbank sind schnelle und aggressive Zinserhöhungen nicht geplant", kommentiert die Europa-Volkswirtin der DWS. Ganz risikolos ist die Verzögerungstaktik zwar nicht: "Die geldpolitische Normalisierung der EZB könnte zu einem ökonomischen Knick führen, sollte aber keinen Einbruch nach sich ziehen, es sei denn, Europa gerät in eine Rezession", meint Konstantin Veit, Portfoliomanager bei Pimco.

Kriegsfolgen könnten Inflation zweifach verstärken
Andere Beobachter sind weniger angetan: "Die EZB will ​die Inflationsrisiken einfangen, koste es was es wolle. Ob die Geldpolitik tatsächlich dieser starken verbalen Vorlage folgt, darf bezweifelt werden", meint etwa Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz. 

Zuletzt war die Inflationsrate im Euroraum auf 5,8 Prozent gestiegen, die EZB hatte ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum gesenkt. Als Hauptantriebsmotor für die Teuerung nennt die EZB demnach den Anstieg der Energiepreise, auch die Ukrainekrise könne die Inflation kurzfristig verstärken. Wie die "FAZ" weiter berichtet, waren sich die Mitglieder des EZB-Rates alles andere als einig. "Wir haben sehr intensive Gespräche über die aktuelle Wirtschaftslage geführt, über die Aussichten, über die Ungewissheit", sagte Lagarde. (fp)