Selbst wenn der Konflikt im Nahen Osten die Ölpreise in die Höhe treiben sollte, müssten die Währungshüter nach Ansicht von Francois Villeroy de Galhau, Gouverneur der Bank von Frankreich, zunächst analysieren, ob ein solcher Schock die zugrunde liegende Preisentwicklung und die Inflationserwartungen anheizt. Daher werde es keine "mechanische" Reaktion geben, sagte er in einem am Sonntag (21.4.) veröffentlichten Interview mit "Les Echos". Auf die Frage, ob Unsicherheit den Beginn der geldpolitischen Lockerung verzögern könnte, antwortete das EZB-Ratsmitglied: "Nein, wenn es keine Überraschung gibt, dürfen wir nicht zu lange warten."

Die Währungshüter der Europäischen Zentralbank sind sich weitgehend einig, dass der Leitzinsentscheid am 6. Juni der richtige Zeitpunkt ist, um mit der Lockerung zu beginnen. Villeroy hat sich lautstark für einen solchen Schritt ausgesprochen, während seine falkenhafteren Kollegen in unterschiedlichem Maße davon überzeugt sind. Einige sehen nur eine zunehmende Wahrscheinlichkeit.

Weitere Zinssenkungen in "pragmatischem Tempo"
"Ab dem Zeitpunkt, an dem wir hinreichend zuversichtlich sind, dass wir das Inflationsziel von zwei Prozent bis zum nächsten Jahr erreichen werden, ist es unsere Pflicht, die Kosten in Bezug auf Aktivität und Beschäftigung zu minimieren", sagte Villeroy. "Das ist der Sinn einer ersten Senkung im Juni."

Auch wenn der Juni immer sicherer wird, ist der weitere Kurs der EZB weniger klar, da sich die Notenbanker nicht einig sind, wie weit die Lockerung gehen soll. Villeroy sagte, es werde in Zukunft weitere Zinssenkungen in einem "pragmatischen Tempo" geben. "Wir werden immer zur Anpassung in der Lage sein, wenn ein externer Schock die Disinflation bedroht", sagte er.

Nicht von der Fed abhängig
Villeroy sagte auch, dass die Zinssenkungen der EZB nicht von der Federal Reserve abhängen werden, von der erwartet wird, dass sie länger wartet, ehe sie ihre Politik lockert. Die EZB werde die Auswirkungen eines solchen Szenarios auf den Euro prüfen, ohne jedoch ein bestimmtes Niveau für die Währung anzustreben, sagte er.

"Wenn ich von pragmatischem Gradualismus spreche, bedeutet das, dass wir alle Daten prüfen werden", sagte Villeroy bei der Vorstellung seines jährlichen Schreibens an den französischen Präsidenten am Montag (22.4.). "Aber wir lassen uns von europäischen Daten leiten, nicht von US-Daten." (mb/Bloomberg)