"Aus meiner Sicht haben wir noch viel vor uns", sagte Bundesbank-Chef Joachim Nagel in einer Rede am Freitag (16.6.). "Möglicherweise müssen wir die Zinsen nach der Sommerpause weiter erhöhen." Diese Auffassung wurde von Notenbankern aus Österreich, Slowenien, Litauen und Belgien unterstützt. Sie äußerten sich, nachdem die EZB am Donnerstag ihren Einlagensatz wie erwartet um einen Viertelpunkt auf 3,5 Prozent erhöht hatte. Präsidentin Christine Lagarde bezeichnete einen weiteren Schritt im Juli als "sehr wahrscheinlich."

Das Hauptaugenmerk liegt nun aber auf der Sitzung danach – im September –, über die sich Lagarde in Schweigen hüllte. Während die Mehrheit der Analysten immer noch davon ausgeht, dass die EZB nach der Anhebung im Juli eine Pause einlegen wird, rechnen die Märkte fast einhellig mit einer weiteren Anhebung nach diesem Monat. Eine leichte Aufwärtskorrektur der vierteljährlichen Inflationsprognosen des EZB-Stabs unterstützt diese Einschätzung.

Inflation und Wachstum weiterhin "höchst unsicher" 
Dem EZB-Rat dürfte im Juli eine harte Debatte darüber bevorstehen, ob eine weitere Zinserhöhung bei der Sitzung im September notwendig sein wird, wie aus Kreisen zu hören ist. Trotz der Abschwächung des Preisanstiegs sagte Lagarde, dass die Aussichten für Inflation und Wachstum in der Eurozone weiterhin "höchst unsicher" seien.

Bankökonomen korrigieren ihre Zinsprognosen nun nach oben. Goldman Sachs etwa sieht den Gipfel des Einlagensatzes nun erst bei vier Prozent, weil die höheren Inflationsprognosen es schwieriger machen, den Zinserhöhungszyklus schon im Juli zu beenden.

Auch für den Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Robert Holzmann, ist eine "Anpassung" der Zinssätze im September möglicherweise erforderlich, wenn der Trend bei den Verbraucherpreisen anhält. Er betonte, dass die Kerninflation, die nach wie vor hoch ist, die derzeit wichtigste Messgröße sei.

Das Wachstum der Kerninflation hat sich im Mai auf 5,3 Prozent abgeschwächt, wie aktualisierte Eurostat-Daten vom Freitag bestätigen. Dies liegt jedoch immer noch weit über dem Zielwert von zwei Prozent. Die Gesamtinflationsrate lag mit 6,1 Prozent noch höher. (mb/Bloomberg)