Angesichts der jüngsten Wirtschaftsdaten und der aggressiven Marktwetten auf rasche Zinssenkungen sollte sich die Europäische Zentralbank (EZB) nach Ansicht von Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in Geduld üben, bevor sie die Zinsen tatsächlich herunterschraubt. Dies berichtet die Nachrichtenagentur "Bloomberg" und bezieht sich dabei auf ein Interview von Schnabel mit der "Financial Times".

Die hartnäckige Inflation im Dienstleistungssektor und der robuste Arbeitsmarkt sprächen gegen eine baldige Anpassung des geldpolitischen Kurses, erklärte Schnabel "Bloomberg" zufolge. Hinzu komme eine spürbare Lockerung der finanziellen Bedingungen, da die Märkte einen Schwenk der Zentralbanken bereits aggressiv einpreisen. 

Lernen aus der Erfahrung
"Darüber hinaus haben die jüngsten Ereignisse im Roten Meer Ängste vor erneuten Unterbrechungen der Lieferketten geweckt”, sagte Schnabel. "Das bedeutet, dass wir geduldig und vorsichtig sein müssen, denn wir wissen auch aus historischer Erfahrung, dass die Inflation wieder aufflammen kann", erklärte sie.

Die Währungshüter der EZB warten derzeit weitere Daten ab, um zu entscheiden, ob die Inflations- und Lohnentwicklung eine Zinssenkung zulässt. Die Märkte gehen davon aus, dass ein solcher Schritt bereits im April erfolgen wird, während die Notenbanker eher zum Juni tendieren.

Eintritt in eine kritische Phase
"Ich würde behaupten, dass wir jetzt in eine kritische Phase eintreten, in der die Kalibrierung und Übertragung der Geldpolitik besonders wichtig wird, weil es darum geht, die Zweitrundeneffekte einzudämmen", sagte Schnabel der "Financial Times".

Der Höhepunkt der Transmission sei wahrscheinlich überschritten, die Inflation im Euroraum sei seit dem Erreichen von 2,9 Prozent weitgehend stabil geblieben. "Wir beobachten eine Verlangsamung des disinflationären Prozesses, der für die letzte Meile typisch ist", sagte Schnabel. Dies hänge eng mit der Dynamik der Löhne, der Produktivität und der Gewinne zusammen. (am/Bloomberg)