"Es ist wahrscheinlich zu früh für ein Urteil" darüber, ob die Teuerung ihren Höhepunkt erreicht hat, "aber ich wäre ziemlich zuversichtlich, wenn ich sagen würde, dass wir wohl kurz vor dem Höhepunkt der Inflation stehen", sagte EZB-Chefökonom Philip Lane in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit der Zeitung "Milano Finanza". "Aber ob dies bereits der Höhepunkt ist oder ob er Anfang 2023 erreicht wird, ist noch ungewiss."

Halber Prozentpunkt als wahrscheinlichstes Ergebnis
Eineinhalb Wochen vor der nächsten Zinsentscheidung der EZB mehren sich die Anzeichen, dass sich das Tempo der Zinserhöhungen verlangsamen könnte. Der irische Notenbankchef Gabriel Makhlouf sagte am Montag, dass ein Schritt um einen halben Prozentpunkt – nach zweien um 75 Basispunkte – das wahrscheinlichste Ergebnis sei. Die Diskussion folgt auf die erste Verlangsamung der Inflation in der Eurozone seit eineinhalb Jahren.

"Wir gehen davon aus, dass weitere Zinserhöhungen notwendig sein werden, aber es ist bereits viel getan worden", so Lane laut einer englischsprachigen Niederschrift des Interviews auf der Website der EZB. "Die Ausgangslage ist jetzt eine andere. Wir haben die Zinsen bereits um 200 Basispunkte angehoben", sagte er. "Wir sollten das Ausmaß dessen, was wir bereits getan haben, berücksichtigen."

Zwei-Prozent-Ziel? "Wird einige Zeit dauern"
Der oberste Ökonom der EZB sagte auch, er könne "eine erhöhte Inflation Anfang nächsten Jahres nicht ausschließen. Wenn wir die ersten Monate des Jahres 2023 hinter uns haben, sollten wir später im Jahr 2023 – im Frühjahr oder Sommer – einen deutlichen Rückgang der Inflationsrate erleben." Auf die Frage, ob die Inflationsrate im Jahr 2023 auf sechs bis sieben Prozent sinken könnte, sagte Lane, dass "der anfängliche Rückgang von den gegenwärtig hohen Raten in etwa auf diesem Niveau liegen wird". Doch überdurchschnittliche Lohnerhöhungen in den nächsten drei Jahren dürften dazu beitragen, dass es "einige Zeit dauern wird, bis wir zu unserem Zwei-Prozent-Ziel zurückkehren. Die Zweitrundeneffekte werden die Inflation im nächsten Jahr und im Jahr 2024 antreiben." (mb/Bloomberg)