Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Rahmen ihrer gestrigen Sitzung erwartungsgemäß alles beim Alten gelassen – der Leitzins verharrt weiter bei null Prozent, das Anleihekaufprogramm wird mindestens bis Dezember 2017 fortgeführt. In den kommenden Wochen dürfte es der Notenbank aber zunehmend schwerer fallen, ihrer Linie treu zu bleiben, erwartet Daniel Hartmann, Analyst beim Fondsanbieter Bantleon: "Wir rechnen damit, dass die Währungshüter im Juni zumindest die Neigung zu noch tieferen Leitzinsen fallen lassen", sagt Hartmann. 

Die Stimmungsindikatoren der Eurozone zeichneten schließlich das Bild eines dynamischen Aufschwungs. Jüngstes Beispiel sei das von der EU-Kommission ermittelte "Wirtschaftsvertrauen", das im April einen Sprung auf ein Zehnjahreshoch machte. "Wenn nunmehr auch noch die Aktivitätsdaten nachziehen, ist das Bild einer kräftigen Konjunkturbelebung vollends rund", sagt Hartmann. Die EZB werde dann zwangsläufig Abstriche bei ihrer expansiven Ausrichtung machen müssen.

Zweite Jahreshälfte könnte interessant werden
Zumindest in den kommenden Sitzungen dürften die Entscheidungsträger der Notenbank jedoch weiterhin vorsichtig agieren, erwartet Timothy Graf, Leiter der Abteilung Macro Strategy bei State Street Global Markets: "Die niedrige Kerninflation bereitet der EZB immer noch Sorgen." Auch Graf rechnet allerdings damit, dass die Notenbank von ihrem expansiven Kurs abweicht, wenn es wirtschaftlich weiter rund läuft: "Sollte die positive Entwicklung der Wirtschaftsdaten anhalten und sich in einer höheren Kerninflation niederschlagen, könnte die zweite Jahreshälfte interessanter werden." (fp)