In der Rangliste der Staatsanleihen ist Deutschland vom Kapitalmarkt bisher noch nicht herabgestuft worden, stellt Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und früherer Chief Rating Officer von S&P, in einem Kommentar für die britische Wirtschaftszeitung "Financial Times" fest. Trotz der wirtschaftlichen Schwäche des Landes sei der Bund weiterhin die unangefochtene Benchmark für Euroschulden. Deutschlands Triple-A-Rating habe bei allen großen Ratingagenturen einen stabilen Ausblick.

Das werde jedoch nicht ewig so bleiben, warnt Kraemer in seinem Beitrag. Viele deutsche Politiker seien zwar nach wie vor der Ansicht, eine hohe Kreditwürdigkeit hänge direkt mit einer niedrigen Verschuldung zusammen. Das sei aber nicht so. Es falle auf, dass die öffentliche Schuldenlast von hoch bewerteten fortgeschrittenen Volkswirtschaften wesentlich höher sei als die von niedriger bewerteten Schwellenländern. "Andere Faktoren wie Wachstum, Produktivität und Innovationsfähigkeit spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle", schreibt Kraemer, "und hier fällt Deutschland zunehmend zurück".

Seit zwei Jahren immer wieder in der Schrumpfung
Alle Hochfrequenzindikatoren würden derzeit wieder nach unten zeigen, von den Auftragsbüchern und der Industrieproduktion bis hin zu den Einzelhandelsumsätzen und den Vertrauensindikatoren. Bereits seit zwei Jahren befinde sich die Wirtschaft immer wieder in der Schrumpfung. Und dennoch gehe es mit der Wirtschaft nicht bergab.

Die Hauptgründe für die strukturelle Stagnation in Deutschland seien zum Teil auf negative Megatrends zurückzuführen, die sich der direkten Kontrolle der Regierung entziehen, so Kraemer. Er nennt in diesem Zusammenhang Stichworte wie das Ende der Globalisierung und ein beängstigendes demografisches Profil. Hinzu komme die selbst zugefügte Wunde der anhaltenden Unterinvestition.

Jahrzehntelange Unterinvestition als Problem
Das schleppende Produktivitätswachstum könne auf jahrzehntelange Unterinvestitionen in Bildung und Infrastruktur zurückgeführt werden. Seit der Jahrtausendwende habe der öffentliche Sektor in Deutschland im Durchschnitt nur 2,3 Prozent des BIP für Investitionen ausgegeben. In der Eurozone insgesamt sei es fast ein Prozentpunkt mehr gewesen, in Frankreich seien es sogar zwei Prozentpunkte. Dass der Abstand zu anderen Ländern in letzter Zeit kleiner geworden ist, führt Kraemer darauf zurück, dass Deutschland weiterhin zurückfällt, nur eben langsamer.

"Wenn man Deutschland die 'AAA'-Krone wegnehmen würde, dann nicht wegen zu hoher Schulden", führt der Chefvolkswirt am Ende seines Kommentars aus. Es wäre vielmehr die Folge einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Lähmung und eines Mangels an geeigneten Maßnahmen, um diese zu beheben. Da die politischen Entscheidungsträger zunehmend die grundlegenden Wachstumshemmnisse erkennen würden, dürfe man zuversichtlich sein, dass die Fixierung auf ausgeglichene Haushalte, die alles andere überlagere, überwunden werde. Das lässt den Chefvolkswirt mit dem Aufruf schließen: "Geben Sie Deutschland noch nicht auf!" (hh)