Finanzakteure, Unternehmer und Politiker sollten sich nicht auf das billige Geld der Notenbanken verlassen. Dies sagte der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, in seiner Eröffnungsrede auf dem FONDS professionell KONGRESS 2018 in Mannheim. Trichet hatte von 2003 bis 2011 die Geldpolitik des Euro-Raums maßgeblich mitbestimmt und die Gemeinschaftswährung durch die Wirren der Finanzkrise nach der Pleite der Investmentbank Lehman-Brothers bugsiert. "Zentralbanken sind nicht die einzigen Spieler am Tisch", warnte Trichet bei seinem Vortrag.

Die Währungshüter der Welt hätten durch ihre gemeinsamen, koordinierten Maßnahmen die Folgen der Finanzkrise 2009 zweifelsohne eingedämmt. "Ohne die Schritte der Notenbanken wäre die Weltwirtschaft in eine Krise wie in den 1920er- und 1930er-Jahren abgerutscht", zeigte sich der Ökonom überzeugt. Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers hatten Währungshüter rund um den Globus die Leitzinsen drastisch gesenkt und obendrein massiv Geld in die Märkte gepumpt, um das Finanzsystem zu stabilisieren.

"Nicht alle nötigen Schritte unternommen"
"Die Zentralbanken haben meiner Meinung nach gute Arbeit geleistet", sagte der ehemalige EZB-Chef. "Und sie tun dies auch weiterhin." Damit lobte er seinen Nachfolger Mario Draghi, dessen ultralaxe Geldpolitik vielfach kritisiert wird. Zwar stünden viele Volkswirtschaften mittlerweile wieder gesund und solide da. Doch insbesondere die Politik habe noch nicht alle nötigen Schritte unternommen, um Finanzsystem und Wirtschaft gegen künftige Krisen zu wappnen.

Und Trichet sieht einige Gefahren voraus. Als größtes Risiko bezeichnete er die immense Verschuldung im privaten Bereich wie auch bei den Staatshaushalten. "Man könnte meinen, dass nach der Finanz- und Staatsschuldenkrise das Wachstum der Verbindlichkeiten nachgelassen hätte – doch weit gefehlt. Das Tempo beim Schuldenmachen ist ungedrosselt", warnte Trichet. Alarmierend sei, dass sich die Praxis, ständig neue Verbindlichkeiten aufzunehmen, von den Industriestaaten auf die aufstrebenden Nationen verlagere. Die Welt knüpfe damit praktisch nahtlos an alte Fehler an.

Finanzsystem "wackelig wie ein Kartenhaus" 
Der ehemalige EZB-Präsident machte fünf Gründe dafür aus, warum das Finanzsystem der Industriestaaten vor der Lehman-Krise so "wackelig wie ein Kartenhaus" war. Erstens seien Märkte und Finanzinstrumente immer ausgeklügelter geworden, zweitens seien die Abhängigkeiten und Verknüpfungen der Akteure untereinander immer dichter geworden. Drittens habe eine optimistische Stimmung jegliche Hinweise auf Risiken überlagert. Obendrein habe viertens der Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes überwogen. Zuletzt hätten sowohl private Haushalte wie auch die öffentliche Hand immense Schulden aufgetürmt. Dieses Phänomen setze sich nun fort.

Auch die Notenbanken hätten hier Fehler gemacht, räumte Trichet ein. So hätten die Währungshüter den Geldströmen und eben dem immensen Auftürmen von Darlehen keine Beachtung geschenkt. Dies sei inzwischen anders. "Die Zentralbanken werfen nun einen gesamtheitlichen Blick auf Konjunktur, Arbeitsmarkt, Teuerungsrate sowie Kreditvergabe und Geldströme", so der Franzose.

Populismus bedroht Wohlstand 
Ansonsten hatte Trichet die EZB-Politik stets gegen Kritik verteidigt. So wurde die Zentralbank wegen der Aufkäufe von Staatsanleihen der europäischen Krisenstaaten insbesondere aus Deutschland mehrfach attackiert. Trichet verwies hingegen darauf, dass gerade in Deutschland die Inflationsrate während der Euro-Epoche stets niedriger war als noch zu D-Mark-Zeiten unter der Ägide der Bundesbank. Auf Skepsis stieß auch der Kauf von öffentlichen Schuldtiteln über den Sekundärmarkt. Damit werde das Verbot einer Staatsfinanzierung durch die Notenbank umgangen, führten Kritiker ins Feld. 

Zuletzt warnte Trichet bei seinem Vortrag in Mannheim vor dem Trend zu nationalen Alleingängen und der Ablehnung von internationaler Zusammenarbeit. "Dies entspringt dem wachsenden Populismus", mutmaßte Trichet. Er spielte damit auf die Politik von US-Präsident Donald Trump an. "Zum Glück schlagen wir hier in Europa diesen Weg nicht ein – bislang", sagte der Franzose. (ert)