Die Europäische Zentralbank (EZB) hat das Ende der Niedrigzinsära eingeleitet. Die Notenbanker um Präsidentin Christine Lagarde kündigten nach ihrer Sitzung am Donnerstag (9. Juni) das Ende der Anleihenkäufe zum 1. Juli an. Der Schritt schafft die Voraussetzungen für eine Anhebung der Leitsätze. Diese wollen die Währungshüter des Euroraums bei ihrer nächsten Sitzung im Juli um 0,25 Prozentpunkte erhöhen. Die EZB reagiert damit auf die anhaltend hohen Inflationsraten. Bis dahin gelten aber noch der niedrige Hauptsatz von null Prozent sowie minus 0,5 Prozent für Einlagen der Banken.

Die Entscheidung stellt einen historischen Einschnitt für die Währungsunion dar. Erstmals seit elf Jahren heben die Notenbanker die Leitsätze an. Das Anleihenkaufprogramm, mit dem die EZB seit 2015 die Finanzmärkte gestützt hatte, läuft aus. Berechnungen des Forschungsinstituts ZEW zufolge hatte die Notenbank insgesamt Wertpapiere mit einem Volumen von 4,4 Billionen Euro erworben, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung." Im September soll ein zweiter Zinsschritt in gleicher Höhe folgen – oder mehr, falls die Inflation eine härtere Gangart vorgibt.

Preisprognosen angehoben
Der stärker als erwartet ausfallende Preisanstieg in der Währungsunion veranlasste die Währungshüter zum Umdenken. Die EZB-Sitzung fand in Amsterdam statt, da die Notenbanker, wie vor der Pandemie üblich, wieder dazu übergegangen sind, sich regelmäßig außerhalb der Zentrale in Frankfurt zu treffen.

Ihre Prognosen zur Teuerung hob die EZB ebenfalls an, berichtet die Nachrichtenagentur "Bloomberg". Die Volkswirte gehen nun von einer jährlichen Inflationsrate von 6,8 Prozent im Jahr 2022 aus, bevor sie auf 3,5 Prozent im Jahr 2023 und 2,1 Prozent im Jahr 2024 schrumpfen soll. Der Wachstumsausblick indessen wurde deutlich gesenkt: Bei der Wirtschaftskraft des Euroraums rechnen die Notenbankökonomen real mit Wachstumsraten von 2,8 Prozent für 2022, 2,1 Prozent für 2023 und ebenfalls 2,1 Prozent für 2024.

"Entscheidung war überfällig"
In ersten Reaktionen stieß die Entscheidung auf Zustimmung, aber auch auf Kritik. "Die Entscheidung der EZB, die Nettoanleihenkäufe in drei Wochen einzustellen, war überfällig", meint etwa Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des deutschen Bankenverbands. "Das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale ist deutlich gestiegen." Der Zeitplan der Währungshüter sei allerdings immer noch zu zögerlich. "Das fundamental geänderte Preisumfeld rechtfertigt einen negativen Leitzins bis in den Herbst hinein nicht mehr", kritisiert Ossig. Die EZB solle noch vor der Sommerpause die Negativzinsphase beenden.

"Die Wende ist geschafft"
"Endlich, die Wende ist geschafft! Die EZB hat sich entschlossen, gegen die Verfestigung der Inflation anzukämpfen", begrüßt auch Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust den Schritt. Er hält das schrittweise Vorgehen der Zentralbanker hingegen für richtig. "Da Geldpolitik nicht von heute auf morgen wirkt und wir es mit einer hohen Unsicherheit bei Inflations- und Konjunkturprognosen zu tun haben, ist es richtig, auf einen graduellen Ausstieg zu setzen." (ert)