Der Kurswechsel der Europäischen Zentralbank wird so schnell erfolgen, dass die Finanzminister der Eurozone nach Schätzungen von Analysten gezwungen sein werden, auf Nettobasis mehr bei Privatinvestoren aufzubringen — nämlich rund 500 Milliarden Euro — als jemals zuvor im 21. Jahrhundert. Und die sind im Moment nicht dazu aufgelegt, Budgetexzesse zu tolerieren, wie zuletzt Kurzzeit-Briten-Premierministerin Liz Truss herausgefunden hat.

Renditeaufschlag bei Italien-Bonds lässt Alarmglocken schrillen
Selbst den großen Ländern wie Deutschland und Frankreich wird ein Anstieg der Zinskosten nicht erspart bleiben, sagen Strategen. BNP Paribas erwartet einen Anstieg der Renditen für zehnjährige Bundesanleihen um fast einen Prozentpunkt bis Ende März. Für Italien, das anfälligste der großen Euro-Länder, steht noch viel mehr auf dem Spiel. Analysten der Citigroup schätzen, dass bis Anfang nächsten Jahres ein Renditeaufschlag von fast 2,75 Prozentpunkten gegenüber Bundesanleihen erforderlich sein wird, um Anleger zum Kauf italienischer Anleihen zu bewegen. Ein solches Niveau würde erneut Spekulationen befeuern, ob das Land seine Schulden bedienen kann — und in Brüssel und Frankfurt die Alarmglocken schrillen lassen.

"In einem Umfeld, in dem die europäischen Regierungen mehr Schulden machen, um die Energiekrise zu bewältigen, und obendrein eine quantitative Straffung erfolgt, werden die Kosten für die Kreditaufnahme massiv steigen", so Flavio Carpenzano, Investment Director bei Capital Group in London. "Die Märkte werden beginnen, die Tragfähigkeit der Schulden von Ländern wie Italien in Frage zu stellen."

Nach Berechnungen der Barclays Bank steigen die Nettoemissionen europäischer Staatsanleihen, die von Privatinvestoren übernommen werden müssen, im Jahr 2023 auf fast 500 Milliarden Euro. Dank der Bondkäufe durch die EZB kommen im laufenden Jahr gerade einmal rund 200 Milliarden Euro auf diesem Weg zusammen. Der Betrag würde um 100 Milliarden Euro steigen, wenn die EZB mit der sogenannten quantitativen Straffung beginnt, also nicht mehr alle auslaufenden Anleihen in ihrem Portfolio durch neue ersetzt.

Italiens Nettobarmittelbedarf wird nach Schätzungen der Citigroup um 48 Milliarden Euro steigen — im Verhältnis zum BIP der zweitgrößte Betrag nach Portugal. "Selbst wenn Italien im europäischen Rahmen bleibt, wird es viele Anleihen ausgeben", meint Ario Emami Nejad von Fidelity International. Der Renditeabstand zu Bundesanleihen werde daher voraussichtlich über 150 Basispunkte ansteigen.

Verlockende Renditen
Die Bondmärkte haben in diesem Jahr bereits eine umfassende Neubewertung erfahren. Ende 2021 lag die deutsche zehnjährige Rendite noch im negativen Bereich bei minus 0,18 Prozent. Am Mittwoch ging sie bei 1,79 Prozent aus dem Handel. Auch ist die EZB nicht die einzige, die die ultralockere Geldpolitik beendet. Die US-Notenbank Federal Reserve hat schon mit der quantitativen Straffung begonnen und ihre Bilanz bis 30. November um rund 330 Milliarden US-Dollar reduziert. Die Bank of England verkauft sogar aktiv Staatsanleihen.

Die spannende Frage ist, wie weit die Anleger die Renditen noch treiben werden, bis sie sich angemessen entschädigt fühlen. Die Vermutung, dass die EZB ihre Zinsanhebungen schon wieder verlangsamen könnte, hat sie zuletzt wieder sinken lassen. Und die kommende Rezession könnte einige Anleger wieder zurück in Staatspapiere locken. (mb/Bloomberg)