Als vor drei Jahren am Raiffeisensektor das Haftungskonstrukt namens Insti­tutional Protection Scheme (IPS) eingeführt wurde, verursachte es bei vielen regio­nalen Funktionären Magenschmerzen. Die Hauptangst der Primärbanken bestand darin, dass sie dadurch ihre Autonomie verlieren könnten. Denn diese Haftungsvereinbarungen stellen die Bottom-up-Hierarchie im Sektor infrage, eine tragende Säule des Selbstbewusstseins der Raikas. Sie sind Eigentümer der Landesbanken und damit Mehrheitseigentümer des Zentralinstituts RBI und müssten sich – eigentlich – von niemandem etwas sagen lassen.

Nur stimmt das so in vielen Fällen nicht mehr: Die Abbestellung von Geschäftsführern, Rationalisierungen, Zusammenlegung von IT und Abwicklungssystemen, Ausstieg aus Geschäftsfeldern – all das und mehr können die über ein IPS verbundenen Banken von einem Institut verlangen, wenn sich eine Schieflage abzeichnet. Und in manchen Bundesländern werden durch die IPS auch die bestehenden Solidaritätsvereine im Prinzip ausgeschaltet.

Darüber gesprochen wird nur ungern: Mittlerweile gibt es mindestens zwei Ausfälle, die über IPS bereinigt wurden: Einen auf Bundesebene, der bereits bekannt war, und einen auf Landesebene, wo es am Sektor bisher immer hieß, das IPS sei hier noch nicht zum Tragen gekommen. Selbst auf eine konkrete Anfrage hin werden solche Angelegenheiten gern verschwiegen, wie unsere Recherchen zeigen.

"Das Wunschkonzert ist vorbei"
Offiziell heißt es bei Raiffeisen, das IPS würde nur die Idee der traditionellen Solidaritätsvereine auf eine EZB-konforme Ebene heben. "Im Unterschied zum Solidaritätsverein geht es hier nicht mehr um das Wollen. Man verpflichtet sich zu Kriterien, die erfüllt werden müssen", sagt Leopold Grubhofer, Chef der Raiffeisenbank Mittleres Mostviertel. Eine Umkehrung der Befehlskette im Raiffeisensektor sieht er zwar nicht, sagt aber: "Natürlich gibt es Kollegen, die ein Haus übernommen haben, in dem nun einiges zu richten ist. Da müssen Hausaufgaben gemacht werden. Das Wunschkonzert ist vorbei." Grubhofers Institut ist die größte Raiffeisen-Primärbank Österreichs und selbst Mitglied im niederösterreichischen Landes-IPS.

Die institutionellen Sicherungssysteme wurden 2014 zweistufig im Sektor eingeführt: Auf Österreich-Ebene haben sich die Giebelkreuzler einträchtig zu einem Bundes-IPS (B-IPS) zusammengeschlossen: Alle acht Raiffeisen-Landesbanken (RLB) und die RBI dotieren einen Topf und haften solidarisch. Auf Landesebene bestehen sechs Landes-IPS (L-IPS) zwischen den jeweiligen Landes­banken und den einzelnen regionalen Raiff­eisenkassen. Von Einheit kann aber in den Ländern keine Rede sein. Salzburg und Kärnten haben geschlossen kein L-IPS eingeführt. Und in Niederösterreich gibt es eines, aber vier der rund 60 Raikas weigern sich eisern mit­zumachen.

Abzug bei Eigenmitteln
Eine der Motivationen, bei einem IPS mitzumachen: Dezentrale Institute erhalten Erleichterungen bei den strengen Eigenkapitalvorschriften der seit 2014 geltenden CRR-Verordnung im Rahmen von Basel III: Bei der Darstellung von Eigenmitteln müssen sie unter anderem nicht jene Anteile abziehen, die sie an anderen Instituten halten. Auf den dezentralen Sektoren sind die Institute typischerweise an den jeweils höheren Ebenen beteiligt sind – und das oft in großem Ausmaß.

Beispiel Oberösterreich: Auf den ersten Blick sind die einzelnen Raikas zwar vielfach mit Quoten von über 20 Prozent beim harten Kernkapital hervorragend kapitalisiert. Allerdings sind sie oft fast mit dem gesamten Eigenkapital an der Landesbank ­beteiligt. In Kärnten, wo es auf Landesebene kein IPS gibt, sind die Raikas geringer an ­ihrem Zentralinstitut beteiligt. Auch in Salzburg heißt es, man habe punkto Eigenkapital einfach keinen Bedarf gesehen.

Verärgerte Kollegen
In Niederösterreich war die Situation schwierig, weil inhomogen: Zwar haben die Primärbanken tendenziell weniger Kapital in ihrer Landesbank gebunden, für einige wäre es aber dennoch knapp geworden: "Die Diskussion um das Landes-IPS kulminierte im Herbst 2013 in einer sehr intensiv geführten Diskussion", erklärt Alfons Pitterle, Chef der RB Region Schallaburg. Die Hauptangst der Primärbanken war ein direkter Eingriff in ihre Geschäftspolitik. "Das ist bis dato jedoch ­meiner Meinung nach nicht eingetreten", so Pitterle. "Auch ich war ein Skeptiker des Landes-IPS und habe schlussendlich nur aus dem Solidaritätsgedanken unserem Beitritt zugestimmt. Ohne Landes-IPS hätten einige Primär-Raiffeisenbanken erhebliche Probleme bei der Eigenmittelunter­legung gehabt."

Dass die erwähnten vier Banken nicht teilnehmen wollten, ist ein sensibles Thema. Sie selbst schweigen über ihre Beweggründe. Die anderen Kollegen sind ­inoffiziell not amused über die Ausreißer: "Im Wesentlichen trifft jede Bank ihre Entscheidungen autonom. Aber es passt für mich nicht zusammen, dass ich die Vorteile einer Gemeinschaft genieße und da dann nicht dabei bin", sagt der Geschäftsführer einer großen niederösterreichischen Bank.

Schweigen bei den Banken
Noch vor zwei Jahren hatte Josef Pröll, Obmann des Raiff­eisen-Revisionsverbandes Niederösterreich-Wien, über die "teure und aufwendige Mehrgleisigkeit" geklagt und zum Mitmachen aufgerufen. Mittlerweile wollen sich die höchsten Ebenen dazu nicht mehr äußern. Bei der RLB heißt es sinngemäß nur: Druck mache man keinen, wenn sie – die Nicht-IPS-Banken – nicht wollen, könne man nichts machen. Spricht man hingegen mit den betreffenden Banken, hat man nicht den Eindruck, dass die Sache so ganz ohne Spannung abläuft. ­Sobald das Thema auf IPS kommt, sinkt die Gesprächsbereitschaft auf null.

Welche Institute in Niederösterreich nicht dabei sind, können Außenstehende nur durch einen aufwendigen Abgleich der Liste aus dem IPS-Geschäfts­bericht erfahren. Bestätigen will ihre Absenz aber keine einzige der darin fehlenden Banken. "Das ist ein sektorinternes Thema, und dazu äußere ich mich nicht", sagte etwa ein Geschäftsleiter der Raiba Re­gion Waldviertel Mitte. Auf die Frage, woher man wissen soll, bei welchen Sicherungssys­temen die eigene Raika ist, heißt es nur: "Das findet der Kunde in den Offenlegungen." Das stimmt aber nur zum Teil: In den meisten Offenlegungen verschweigen die Nichtmitglied-Banken ganz einfach die Existenz von IPS. Bei einer Raika (siehe Heftausgabe) suggeriert wiederum der standardisierte Hinweis auf das IPS eine Mitgliedschaft; im letzten verfügbaren IPS-Bericht scheint das Institut jedoch nicht auf; und die Geschäftsleitung gibt dazu wie so viele Akteure am Sektor keine Auskunft. Für Kunden ist die Angelegenheit kaum durchschaubar.

"Gruppendynamik"
Ein hoher Funktionär, der nicht genannt werden will, meint, dass der Druck von ­außen auf diese Banken verständlich sei: "Es ist eine schwierige ­Situation, wenn man dem Hauptinstitut im Land, dem zentralen ­Liquiditätsverbund, sagt, ich mach da nicht mit."

Dass Raiffeisen über das Thema offiziell nicht gern spreche, liege aber auch an der Komplexität des IPS. Häufig seien nämlich gar nicht die direkten Eigenkapitalerfordernisse dafür ausschlaggebend, dass eine Bank sich zum Mitmachen entscheidet – oder entscheiden muss. "Es kommt hier zu einer Vermischung diverser Belange wie Liquidität, IT, Kooperation. Die Frage, ob man ein IPS einführt oder nicht, hat im engsten Sinne oft weder rechtliche noch ökonomische Gründe, sondern einfach eine sektorpolitische Komponente", sagt der Insi­der, der die Einführung von IPS "live" miterlebte. "Nicht de jure, aber de facto wurden die IPS auf die Liquiditätsverbünde aufgesattelt. Am Ende wird gesagt: Lieber Partner, wenn du A möchtest, dann musst du auch B akzeptieren. Und dann heißt es, entweder man ist voll dabei in allen Segmenten oder gar nicht."

Als Zwang würde der Experte das nicht ­bezeichnen, aber als "besondere Form der Gruppendynamik". Ein Beispiel, wo sich ­dieser Druck manifestiert, sei das alles dominierende Thema IT. "Vordergründig mag es bei der IPS-Debatte um Regulierungen gehen. Aber was die Regulierung vorgibt, wird heute mit IT beantwortet. Und hier eigene Lösungen aufzustellen können sich kleine Institute nicht leisten. Seit Basel III sind IT und Regulierung in extremem Maß verknüpft", so der Insider. (eml)


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