Bill Dudley, Ex-Chef der New Yorker Niederlassung der US-Notenbank, übt sich in Selbstkritik. "Die Fed ist wahrscheinlich vier bis fünf Zinsschritte hinter dem zurück, wo sie heute schon sein sollte“, sagt der Finanzexperte Bill Dudley gegenüber dem "Handelsblatt“. Dabei meint er jeweils Zinserhöhungen um einen Viertelprozentpunkt. Die Fed müsse ihr Verhalten jetzt an die Russlandkrise anpassen, dürfe aber gleichzeitig nicht zu sehr vom Kurs abweichen.

Der ehemalige Notenbanker geht von sechs Zinsschritten im laufenden Jahr aus und wünscht sich für das Jahr 2023 "vielleicht noch mal drei“ Zinserhöhungen. "Die Fed muss jetzt sehr aufpassen, dass die Inflation nicht zum Selbstläufer wird“." Derzeit steht der US-Leitzins bei null, allerdings hatte die Fed zu Beginn des Jahres angekündigt, ihn im Frühjahr um einen halben Prozentpunkt anzuheben. Das ist nun – angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine – vom Tisch. Aktuell ist eine Erhöhung um einen Viertelprozentpunkt im Gespräch, wie Fed-Chef Jerome Powell kürzlich in einer Anhörung vor dem US-Kongress bestätigt hat.

EZB sollte andere Prioritäten haben
Bei der europäischen Zentralbank (EZB) stellt sich die Lage aus Sicht des ehemaligen Notenbankers anders dar. "In Europa ist die Inflation niedriger als in den USA, die Inflationserwartungen sind besser verankert“, argumentiert er. "Und der Arbeitsmarkt ist nicht so heiß gelaufen.“ Zusätzlich sind die wirtschaftlichen Risiken höher, die durch den Angriff Russlands auf die Ukraine entstehen könnten. Es droht eine Stagflation, eine Mischung aus Inflation und wirtschaftlichem Stillstand. Das legitimiert aus Dudleys Sicht das zögerliche Verhalten der EZB in Bezug auf Zinserhöhungen. Seine Schlussfolgerung: Die EZB sollte sich eher darauf konzentrieren, die Konjunktur zu stützen, die Fed müsse vor allem die Inflation im Auge behalten. (fp)