Mit der Zunahme künstlicher Intelligenz (KI) werden sich viele Tech-Unternehmen neue Umsätze und neue Geschäftsfelder erschließen. Hagen Ernst, stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement bei DJE, sieht Halbleiterhersteller als größte Profiteure des KI-Booms. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE erklärt er, wo er Chancen erkennt und welche Firmen bei KI gut positioniert sind.


Herr Ernst, die KI-Euphorie treibt die Tech-Werte seit Jahresanfang. Sehen Sie erste Anzeichen, dass KI auch in den Umsätzen und Gewinnen ankommt? 

Hagen Ernst: In den nächsten Jahren sind durch KI bei vielen Tech-Unternehmen neue Umsätze und teils sogar neue Geschäftsfelder zu erwarten. Nvidia beispielsweise kommt bei der Produktion von Hochleistungschips aktuell nicht nach. Für das zweite Quartal hat die Firma einen Umsatz von 13,5 Milliarden US-Dollar erzielt, deutlich mehr als von Analysten erwartet. Dies unterstreicht, dass künstliche Intelligenz schon jetzt zu massiven Investitionen führt. Anders als bei Nvidia dürfte es bei vielen Tech-Unternehmen allerdings noch ein paar Jahre dauern, bis signifikante Umsätze aus KI erzielt werden.

Welche Bereiche profitieren direkt und indirekt am meisten von KI?  

Ernst: Am stärksten profitieren sollte der Halbleitersektor. Um KI zu ermöglichen, sind enorme Investitionen in den Aufbau neuer, schneller Daten- und Rechenzentren erforderlich. Neue sogenannte Hochleistungschips (GPU) sind die Voraussetzung für Anwendungen im Bereich KI. Nvidia ist bei GPUs führend mit einem Marktanteil von 84 Prozent, gefolgt von AMD mit zwölf Prozent und Intel mit vier Prozent. Nvidia dürfte dank der führenden Marktstellung bei GPUs über Jahre seine Dominanz im Sektor behaupten, wenn nicht weiter ausbauen. Erst mit den hohen Rechenleistungen dieser GPUs ist es möglich, eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Daten schnell auszuwerten. Für Datenzentren in der Cloud sind für KI-Workloads geringe Latenzzeiten essenziell. Dafür benötigt es High-Speed-Switching-Lösungen etwa von Broadcom. Wohlgemerkt befindet sich der Sektor aktuell noch im Abschwung. Viele Experten rechnen aber bereits wieder mit einem KI-bedingten Aufschwung im nächsten Jahr.

Wer profitiert bei den Rechenzentren?

Ernst: Bei den Cloud-Anbietern ist zu befürchten, dass die großen US-Anbieter ihre Marktmacht weiter ausbauen und eine entscheidende Rolle beim Aufbau schneller KI-Rechenzentren spielen werden. Es gibt kein einziges europäisches Unternehmen. Marktführer ist AWS von Amazon mit 32 Prozent Marktanteil, dahinter Azure von Microsoft mit 23 Prozent sowie Google Cloud mit zehn Prozent.

Und was bedeutet KI für die Softwareanbieter?

Ernst: Neben dem Halbleiterbereich und den Cloud-Anbietern sollten auch Softwarefirmen von KI profitieren. Microsoft ist aufgrund seiner Partnerschaft mit OpenAI gut positioniert. Der eigentliche Durchbruch in Sachen KI gelang OpenAI mit ihrem generativen Sprachmodell ChatGPT. Strategie von Microsoft ist es, ChatGPT im Cloud-Dienst Azure, der Suchmaschine Bing und den Office-Programmen zu integrieren.

ChatGPT ist die wohl prominenteste KI-Anwendung. Welches Potenzial sehen Sie bei diesen sprachgesteuerten KIs und wer könnte hier die führende Marktstellung einnehmen?

Ernst: Ja, der eigentliche Durchbruch in Sachen KI gelang OpenAI mit ihrem generativen Sprachmodell ChatGPT, das mittlerweile über 100 Millionen Nutzer hat. Die Lernkurve solcher Modelle ist recht hoch. Somit könnte sich Microsoft dank der Kooperation mit OpenAI als führender KI-Player etablieren. Allerdings scheint Google, wo man seit Langem an generativen Sprachmodellen forscht und, bis ChatGPT kam, eigentlich führend war, mit ihrem neuen Sprachmodel PaLM2 aufzuholen. Hohe Summen in Sprachmodelle investieren auch Meta und Amazon, selbst Apple will hier mitmischen. Es bleibt also spannend, wer sich hier durchsetzen wird.  

Werden wir generell Konzentrationseffekte sehen, bei denen am Ende einige große Anbieter den Markt dominieren, und wie sollten sich Anleger Ihrer Meinung nach positionieren? 

Ernst: Davon ist auszugehen. Es ist zu befürchten, dass sich die großen US-Cloud-Anbieter bei KI-Anwendungen als Torwächter etablieren werden. Letztendlich werden alle Unternehmen KI-Anwendungen hier "einkaufen" müssen. Als Privatinvestor ist es natürlich extrem schwierig, zu beurteilen, wer sich unter den großen US-Tech-Konzernen als KI-Gewinner etablieren wird. Zudem ist die Entwicklungsgeschwindigkeit im KI-Bereich rasant. Wer sich heute einen technologischen Vorsprung wie etwa ChatGPT erarbeitet hat, kann ihn schon morgen wieder verlieren. Nvidia ist bei Hochleistungsprozessoren gut positioniert. Die Bewertung ist allerdings auch schon recht ambitioniert. Als aktiver Manager raten wir selbst natürlich zur Anlage über einen Fonds. 

Gibt es auch deutsche Firmen, die vom KI-Boom profitieren oder in Zukunft profitieren dürften?

Ernst: Leider gibt es derzeit kein deutsches Unternehmen mit aussichtsreicher Positionierung im KI-Bereich. Es gibt einige kleinere Firmen. So hat sich etwa SAP an einem kleineren deutschen Unternehmen im KI-Sektor beteiligt. In der Finanzierungsrunde Ende Juni erhielt das Unternehmen mehr als 100 Millionen Euro. US-Konzerne wie Microsoft oder Google investieren jedoch Milliardenbeträge. Es braucht also einen klaren Fokus und etwas "Glück", den Durchbruch in einer speziellen Nische zu schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch. (jh)