Die Volkswirte des Investmenthauses Bantleon rechnen für 2023 mit einem deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung in den USA und Europa. "Das wird kein Rezessiönchen, das wird ein ausgewachsener Abschwung", sagte Andreas Busch, Volkswirt bei Bantleon, bei der Präsentation des Konjunkturausblicks des Hauses. Der Einbruch werde über mindestens ein Jahr anhalten. Auslöser seien der Kostenschock durch die Lieferketten sowie die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die nunmehr steigenden Zinsen.

In den Konjunkturdaten sei zwar "von einer Rezession weit und breit bisher nichts zu sehen", räumt Busch ein. An den Finanzmärkten hatte daher zuletzt eine Erholung eingesetzt. Investoren setzen zusehends darauf, dass angesichts der jüngsten Datenlage der Wirtschaftseinbruch nicht so stark ausfällt wie befürchtet. "Doch dies ist der Blick in den Rückspiegel", warnt der Analyst. In die Zukunft gerichtete Indikatoren wie Auftragseingänge oder die Zinskurve deuteten allesamt auf einen deutlichen Abschwung hin.

"Firmen produzieren auf Halde"
Der US-Arbeitsmarkt stehe zwar noch gut da, doch bei Zeitarbeitsverträgen zeichne sich bereits ein Rückgang ab. "Der Arbeitsmarkt wird unter Druck kommen", prognostiziert der Experte. In manchen Wirtschaftszweigen sei der Einbruch schon da. "Die US-Bauwirtschaft steckt schon in einer Rezession", betont Busch. Beginn und Ausmaß einer Rezession seien zwar schwer zu prognostizieren. Doch die Bantleon-Analysten gehen von einem Abschwung im ersten, spätestens im zweiten Quartal aus. "Das volle Ausmaß wird aber erst über den Sommer zutage treten", mahnt Busch.

Noch trüber sehen die Bantleon-Experten die Lage in Europa. "Die USA rutschen in eine Rezession, Europa steckt schon drin", meint Jörg Angelé, Volkswirt bei Bantleon. Die Industrie verzeichne einen Einbruch bei den Auftragseingängen, die Lagerbestände klettern, weil Waren nicht mehr verkauft werden. "Die Firmen produzieren bereits auf Halde", diagnostiziert Angelé. Auch im europäischen Baugewerbe sei, wie in den USA, der Auftragseingang eingebrochen.

"Echte Erholung gibt der Rahmen nicht her"
Zwar sei der befürchtete GAU, enorm hohe Energiepreise und eine Gasmangellage, nicht eingetroffen. Die jüngste Erholung bei Stimmungsindikatoren sei aber nur ein Aufatmen, dass das Schlimmste ausgeblieben sei. "Eine echte Wirtschaftserholung gibt der Rahmen nicht her", sagt der Experte. Der Zinsanstieg belaste die Konjunktur. "Die monetären Impulse benötigen mehrere Quartale, bis sie wirken", erläutert Angelé.

Bei der Inflation wiederum sei eine deutliche Entspannung erkennbar. Die Frachtraten für Schiffe sinken, ebenso die Energie- und Rohstoffpreise. "Die Notwendigkeit für die Unternehmen, die Preise anzuheben, nimmt deutlich ab", erläutert der Volkswirt. "Die Kerninflation wird nicht in den freien Fall übergehen", schränkt Angelé aber ein. Die Teuerung werde nicht so tiefe Niveaus erreichen wie vor der Pandemie. Grund sei das Lohnwachstum, weshalb die Inflation über der Zielmarke von zwei Prozent bleibe.

"Rezession auf Samtpfoten"
Angesichts dieser Entwicklungen rechnen die Bantleon-Analysten mit entsprechenden Reaktionen der Zentralbanken. Die US-Notenbank Fed werde insbesondere auf einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen reagieren, meint Busch. "Die Fed wird nicht lange zögern, der Wirtschaft zu Hilfe kommen und die Zinsen senken", so der Experte. Die Europäische Zentralbank wiederum werde die Zinsen angesichts der noch erhöhten Teuerungsraten vorerst weiter anheben.

"Der Zins- und Kostenschock sickert in die Konjunktur", fasst Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann die Prognose zusammen. Es sei kein rascher Einbruch wie 2008 nach dem Platzen der US-Immobilienpreise zu erwarten. "Die Rezession schleicht auf Samtpfoten heran", warnt der Experte. Die düsteren Visionen seien ausgeblieben, daher habe der Aktienmarkt Zuversicht gefasst. Doch in ein bis zwei Monaten werde sich das bislang diffuse Bild klären. "Dann werden alle erkennen, dass wir in einer Rezession stecken", meint Hartmann.

"Überraschend schnelle Rückkehr zur Normalität"
In der Folge werde es zu einer deutlichen Korrektur an den Aktienmärkten kommen, so der Bantleon-Chefvolkswirt. Bei Staatsanleihen wiederum sei mit einem kräftigen Renditerückgang zu rechnen. Zwar seien zwischendurch Gegenbewegungen möglich. Doch auch 2023 werde kein Jahr der Aktien, dafür der Anleihen solider Emittenten. Hochzinsanleihen würden wiederum angesichts der Rezession und steigender Ausfallraten unter Druck kommen.

Positive Signale sehen die Bantleon-Experten lediglich in China. Die 180-Grad-Wende Pekings bei der Corona-Politik und die aufgeschobene Entschuldung des Immobiliensektors helle die Aussichten auf. Nach Abflauen der Infektionswelle "kommt es zu einer überraschend schnellen Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität", meint Bantleon-Volkswirt Busch. Doch die Erholung in China werde keine so starken Impulse aussenden, um die bremsenden Effekte in den USA und Europa zu überwinden. Gleichwohl böten asiatische Aktien gute Chancen.

"Wollen kein Aufsehen erregen"
Mit ihren Vorhersagen zeigen sich die Bantleon-Experten deutlich skeptischer als der große Rest der Zunft. "Wir wollen mit unseren pessimistischen Prognosen kein Aufsehen erregen", betont Hartmann. "Vielmehr leiten sie sich strikt aus unseren Konjunkturanalysen ab." Die Bantleon-Volkswirte lagen mit ihren Konjunktureinschätzungen häufig richtig und wurden etwa beim Finanznachrichtendienst "Bloomberg" mehrfach zu den besten Prognostikern gewählt. (ert)