Der prominente Investment-Experte Felix Zulauf hat kürzlich mit einer sehr pessimistischen Einschätzung zur Lage in China aufhorchen lassen. Der Boom im Reich der Mitte habe sich gemessen am Kreditwachstum und an den Investitionen "zum größtem Exzess in der Geschichte der Menschheit" entwickelt. Der international bekannte Kapitalmarkt-Beobachter bescheinigt der chinesischen Regierung nicht nur, seit einiger Zeit so ziemlich alles falsch zu machen. Er sieht das Land auch im Epizentrum einer heraufziehenden Krise: "Im aktuellen Zyklus ist China das, was der US-Immobilienmarkt während der 2008er-Finanzkrise war."

Dass China Auslöser oder Ursache einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise sein könnte, ist für Harald Staudinger, Mitgründer der auf Asien spezialisierten Investmentgesellschaft Aspoma, nicht vorstellbar. Nach Ansicht des österreichischen Investmentexperten hat Zulauf mit seinen Äußerungen gegenüber der Schweizer Zeitschrift "Finanz und Wirtschaft" verbal arg über die Stränge geschlagen. "Nicht einmal sein Landsmann Marc Faber als ausgewiesener Dr. Doom malt derzeit so schwarz", sagt Staudinger.

Was ernst zu nehmen ist – und was nicht
Es sei zwar richtig, dass die Turbulenzen an den Börsen zum großen Teil auf das Konto der politischen Führung in Peking gehen. "Es gab eine außerordentlich schlechte Kommunikation und eine Reihe von Missverständnissen", so Staudinger. Ähnliches gelte für den Devisenmarkt. "Der Markt war und ist sich uneins, in welchem Ausmaß Peking den Renminbi abwerten will." Diese Unsicherheit schüre die Angst, dass China durch billigere Preise Deflation "exportieren" könnte. "Diese Sorgen sind ernst zu nehmen – aber nicht die Angst, dass China bald pleitegehen könnte."

Das zeige auch ein Blick auf die Fakten: Die Staatsverschuldung Chinas liege derzeit bei 43 Prozent des BIP, in der EU hingegen bei 90 und in den USA bei mehr als 100 Prozent. Auch wenn man die gesamtwirtschaftliche Verschuldung betrachtet, stehe China nicht schlechter da als viele westliche Länder. Und die Staatsquote sei mit 31 Prozent des BIP ebenfalls noch immer geringer als im Mutterland des Kapitalismus (36 Prozent) und erst recht niedriger als in der EU (48). Last but not least betrage das Haushaltsdefizit minus zwei Prozent des BIP. Die USA kämen hingegen auf minus vier, und in Europa seien faktisch mehrere Länder pleite, so Staudinger.

Warnungen vor Liquiditätskrise "absurd"
"Diese positiven Daten werden noch überstrahlt von den gigantischen Devisenreserven, die die Chinesen auch nach den jüngsten Abflüssen besitzen: 3,3 Billionen Dollar sollen es Ende 2015 gewesen sein, wie Yale-Professor Stephen Roach jüngst anmerkte. Zudem erwirtschaftet China auch bei einem Wachstum von nur 6,8 Prozent weiter Überschüsse in der Leistungsbilanz, was die Devisenreserven in der Tendenz steigen lässt. Angesichts dessen eine Liquiditätskrise an die Wand zu malen, erscheint absurd."

Bei Aspoma geht man außerdem von einem erfolgreichen Umbau von einer vorrangig investitionsgetriebenen zu einer stärker konsumgestützten Ökonomie aus. Schon jetzt stünde der arbeitsintensivere Dienstleistungssektor für mehr als 50 Prozent der Wirtschaftsleistung. Und: Die Einkommen für die städtische Bevölkerung hätten sich seit 2005 nominal verdreifacht; das entspräche einem jährlichen Wachstum von zwölf Prozent, rechnet Staudinger vor. "Bedenkt man zudem, dass die für den Konsum relevante Mittelschicht rund 500 Millionen Köpfe zählt und die Geburtenrate bei 1,67 Kindern pro Frau liegt, ist klar, dass die mittelfristigen Wachstumschancen sehr gut bleiben." (dw)