Der Konflikt zwischen der polnischen Regierung und der Europäischen Union spitzt sich zu. In der vergangenen Woche entschied das polnische Verfassungsgericht, dass Teile des EU-Beitrittsvertrags nicht mit Polens Verfassung vereinbar seien. Die Brisanz dieses Konflikts werde an den Finanzmärkten bislang unterschätzt, warnt Martin Lück, leitender Kapitalmarktstratege bei Blackrock. "Zu Ende gedacht enthält er die Anleitung für ein Auseinanderfallen der EU." In den Medien wird bereits über einen möglichen "Polexit" spekuliert.

Die Europäische Union hatte sich im vergangenen Jahr erpressbar gezeigt, als ihr Haushaltsrahmen und ihr Corona-Hilfsprogramm nur mit Zugeständnissen gegenüber Polen und Ungarn beschlossen werden konnten. "Entsprechend schwach sind jetzt ihre Möglichkeiten, auf den Richterspruch aus Warschau zu reagieren", sagt Lück. Zwar stelle sich Polen de facto außerhalb des EU-Rechts. Dem Land in der Konsequenz die EU-Hilfen zu streichen, dürfte aber nicht ohne Weiteres möglich sein. Dabei wäre ein solches Vorgehen wohl die einzige Chance, die nationalkonservative PiS-Regierung zum Einlenken zu bewegen.

Ohnmacht als Warnsignal
Die polnische Regierung macht dem europäischen Staatenverbund einmal mehr seine Dysfunktionalität deutlich, urteilt der Blackrock-Stratege. "Einzelne Länder können offen EU-Recht verletzen, ohne dass die EU-Institutionen etwas dagegen tun können." Das Regelwerk zu ändern ist wegen der Einstimmigkeit, die dafür nötig wäre, keine Option. Ausländische Investoren fragen sich vermutlich zunehmend, ob sie "in einem derart grotesk regulierten Wirtschaftsraum irgendein Potenzial sehen", sagt Lück. Für langfristig orientierte Anleger dürfte die Ohnmacht der EU-Institutionen gegenüber den Provokateuren aus Warschau und Budapest jedenfalls ein Warnsignal sein. (fp)