Das Team des Candriam Equities Biotechnology arbeitet etwas anders als viele andere Portfoliomanager in diesem Sektor. Servaas Michielssens, der Co-Manager der Fonds, hat in Biotechnologie promoviert. Auch der verantwortliche Portfoliomanager Rudi Van den Eynde hat Medizin studiert, und im Analystenteam in Brüssel sitzen weitere Wissenschaftler. Wenn sie ein Unternehmen bewerten, schauen sie sich nicht nur Finanzkennzahlen an, sondern steigen tief in die Analyse klinischer Daten ein und sprechen mit Forschern, wie aussichtsreich ein neues Medikament wirklich sein könnte. Im Augenblick dürfte die Kompetenz in diesem Bereich einen weiteren Vorteil bieten: Sie können die Nachrichten rund um die Corona-Pandemie mit kühlem Kopf einordnen. Van den Eynde stand FONDS professionell ONLINE im Telefoninterview Rede und Antwort – übrigens vom Home-Office aus, denn auch in Belgien gilt das Gebot, Sozialkontakte möglichst zu vermeiden.


Herrn Van den Eynde, die Börsen sind angesichts der Corona-Pandemie im Panikmodus. Einige Marktteilnehmer hoffen auf eine schnelle Hilfe von medizinischer Seite. So gaben erste Unternehmen bekannt, bald mit klinischen Tests für einen Impfstoff zu beginnen. Wann darf realistisch mit einem Impfstoff gerechnet werden?

Rudi Van den Eynde: Das ist natürlich schwer zu sagen. Normalerweise dauert das zwölf bis 15 Monate, selbst wenn sich die Behörden sehr kooperativ zeigen, was bei dieser Pandemie der Fall sein wird. Die Entwicklung ist das eine, die Herstellung das andere. Die Unternehmen müssen beweisen, dass der Impfstoff tatsächlich wirkt, dass sich also genügend Antikörper im Blut finden und eine Immunität aufgebaut wird. Auch mögliche Nebenwirkungen müssen untersucht werden. Das mag beides relativ schnell gehen. Doch es bräuchte Hunderte Millionen Impfdosen, und es dauert seine Zeit, die nötige Fertigung aufzubauen. Es würde mich wundern, wenn es im Dezember schon eine signifikante Zahl an Impfdosen gäbe. Aber ich lasse mich natürlich gerne positiv überraschen! Gut ist jedenfalls, dass nicht nur einzelne Firmen, sondern viele Unternehmen an Impfstoffen arbeiten, darunter auch die großen Marktführer, die schnell entsprechende Kapazitäten aufbauen können. Positiv ist auch, dass das neuartige Coronavirus nach derzeitigen Erkenntnissen kaum mutiert. Die Chancen stehen also gut, dass ein Impfstoff auch im Folgejahr noch wirksam wäre.

Die Entwicklung eines Medikaments dürfte noch länger dauern, oder?

Van den Eynde: Nein, im Gegenteil. Es gibt zwei Ansätze: In China wird ein Medikament getestet, das ursprünglich gegen Ebola entwickelt wurde. Es hemmt die Replikation des Virus im menschlichen Körper. Eine weitere Idee setzt an einer anderen Stelle an. Bei vielen Patienten richtet nämlich nicht die Infektion mit dem Virus den größten Schaden an, sondern eine Art Überreaktion des Immunsystems – insbesondere bei älteren Menschen. Die Hoffnung ist, diese Kaskade zu stoppen, was die Krankheit zwar nicht verhindern, aber die Sterblichkeit erheblich senken würde. Solche Medikamente kommen zum Beispiel gegen Arthritis zum Einsatz, und erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie auch bei Covid-19 helfen könnten. Hier kann es einen schnellen Fortschritt geben, weil die Medikamente bereits zugelassen sind. Nötig wären nur noch klinische Studien mit einigen Hundert Patienten in Krankenhäusern. Heilen diese wirklich schneller und treten keine neuen Nebenwirkungen auf, könnten schon im September oder Oktober gute klinische Daten vorliegen. Bald darauf wären die Medikamente einsatzbereit.

Sie sind also optimistisch, dass die Menschheit den Kampf gegen die Pandemie gewinnt?

Van den Eynde: Ja, das bin ich. Die Südkoreaner haben die Krankheit mittlerweile schon gut im Griff, das gleiche gilt für Singapur. Das zeigt, dass die harten Maßnahmen, die dort ergriffen wurden, wirken. Und in China liegt die Zahl der Neuinfektionen nahe null. Dort sind die meisten, die positiv getestet wurde, aus dem Ausland eingereist.

In Europa und den Vereinigten Staaten wächst die Zahl der Infizierten allerdings exponentiell.

Van den Eynde: Ein Grund für die rasant steigenden Kurven ist, dass erst seit Kurzem ausreichend Tests zur Verfügung stehen. Außerdem kann die Inkubationszeit locker eine Woche betragen. Darum werden die Statistiken auch kommende Woche noch erschreckend aussehen. Doch danach stehen die Chancen gut, dass sich die Kurve abflacht. Denn dann beginnen die Maßnahmen zu wirken, die darauf abzielen, den direkten Kontakt zwischen Menschen zu vermeiden.

Und sobald die Schulen und Gaststätten wieder öffnen, die U-Bahnen voll sind und man sich wieder mit Handschlag begrüßt, geht das Drama von vorne los?

Van den Eynde: Wir müssen so lange durchhalten, bis alle Patienten bekannt und versorgt sind. Dann können wir das Coronavirus ausrotten. Es spricht zwar vieles dafür, dass das Virus im nächsten Winter zurückkommt, aber dann ist die Welt viel besser darauf vorbereitet – und mit hoher Wahrscheinlichkeit gibt es dann auch Impfstoffe und Medikamente.

Sie investieren mit Ihrem Fonds in den Healthcare- und Biotech-Sektor, also in einem Bereich, auf dem gerade in diesen unsicheren Zeiten viele Hoffnungen ruhen. Können sich diese Aktien gegen den allgemeinen Börsentrend stemmen?

Van den Eynde: Wenn es regnet, werden alle nass. Der "Shut-down" trifft die ganze Wirtschaft in einem Ausmaß, das zuvor wohl niemand so erwartet hatte – auch den Healtcare-Sektor. Die Leute gehen nicht zum Arzt, wenn sie nicht unbedingt müssen, viele Operationen werden verschoben. Dennoch ist diese Branche vergleichsweise stabil. Wer Krebs hat, bricht die Behandlung jetzt natürlich nicht ab. Außerdem wird sich dieser Sektor schnell wieder erholen, wenn die Corona-Pandemie vorbei ist. Mit Blick auf einige andere Branchen wie den Tourismus bin ich da skeptischer: Ich glaube nicht, dass allzu viele Menschen bald eine Fernreise buchen, auch für den Winterurlaub noch nicht. Das ist auch der Grund, warum sich der Healthcare-Sektor im jüngsten Ausverkauf an der Börse deutlich besser gehalten hat als der breite Aktienmarkt. Da wissen die Investoren durchaus Unterschiede zu machen.

Gibt es einzelne Unternehmen, die Ihrer Meinung nach zu den "Corona-Profiteuren" zählen?

Van den Eynde: Die gibt es, einzelne Namen werde ich aber nicht nennen. Das würde einerseits unsere Compliance-Abteilung verbieten, andererseits möchte ich die vielen Spekulationen, die es ohnehin derzeit gibt, nicht zusätzlich befeuern.

Darf ein Unternehmen, das einen Impfstoff oder ein Medikament entwickelt, überhaupt darauf hoffen, damit das große Geschäft zu machen? Oder würde der Staat das unterbinden – es geht schließlich um ein höheres Ziel als um den Profit eines Pharmakonzerns?

Van den Eynde: Damit sprechen Sie einen guten Punkt an. Die Impfstoffproduktion erfordert hohe Investitionen, da werden die Behörden den Herstellern schon einen Preis zugestehen, der dieses Vorhaben wirtschaftlich ermöglicht. Wollte ein Unternehmen aber für ein Medikament, das schon am Markt ist, nun einen höheren Preis verlangen, würde das der Staat wohl kaum zulassen. Insgesamt ist es gut möglich, dass die Rentabilität von Corona-Produkten nicht sonderlich hoch ist. Das muss der Investor wissen. Und das ist auch völlig in Ordnung, weil es, wie Sie sagen, um ein höheres Ziel geht.

Wenn Sie sich die runtergeprügelten Kurse vieler Aktien anschauen: Ist das Niveau so niedrig, dass mutige, langfristig orientierte Anleger zugreifen können? Oder würden Sie sich angesichts der enormen Unsicherheit über die weitere Entwicklung momentan eher noch zurückhalten?

Van den Eynde: Machen wir uns nichts vor: Die Geschäftszahlen für dieses und das nächste Quartal werden sehr schlecht aussehen. Zudem ist noch nicht klar, wie lange der "Shut-down" andauern muss. Wenn ich aber an den Sommer 2021 denke, kann ich mir durchaus eine Welt vorstellen, in der Corona passé ist. Die Chancen stehen sehr gut, dass sich die Wirtschaft bis dahin wieder normalisiert hat. Wer also langfristig denkt und die kommenden Quartale ausblenden kann, der erkennt, dass einige Qualitätsunternehmen aktuell zu einem deutlich attraktiveren Preis zu haben sind als noch vor wenigen Wochen.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)


Rudi Van den Eynde studierte Medizin in Antwerpen, entschied sich aber für eine Karriere in der Finanzbranche. 1987 stieg er bei der belgischen Dexia Bank ein, bei der er unter anderem als Devisenhändler und später als Portfoliomanager für institutionelle Kunden arbeitete. 1998 wechselte Van den Eynde zu Candriam, wo er zur Jahrtausendwende den Biotech-Fonds des Hauses lancierte, den er seither verantwortet. Seit 2012 leitet er zudem das Team für thematische Aktieninvestments.