Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, nimmt weiterhin an, die Inflation sei temporär und werde im kommenden Jahr wieder stark sinken. Als Gründe nennt sie vor allem den Anstieg der Energiepreise und die Lieferengpässe sowie Materialknappheit als Folge der Pandemie. All das werde im Jahr 2022 wieder abebben. Auch den fehlenden Lohndruck sieht die EZB als Argument gegen eine Zinserhöhung. 

Daniel Hartmann, Chefvolkswirt der Vermögensverwaltung Bantleon, teilt die Haltung der Notenbankpräsidentin allerdings nicht. "Ein Großteil des Kostendrucks, dem sich die Unternehmen aktuell gegenübersehen, ist noch gar nicht an die Endverbraucher weitergegeben worden", warnt er. Dazu zählt der Experte etwa die Strom- und Gaspreise, die erst mit Beginn des kommenden Jahres angehoben werden, ebenso wie die Preiserhöhungen, die Konsumgüterhersteller wie Henkel oder Unilever bereits angekündigt haben. Auch der Lohndruck könnte im kommenden Jahr zunehmen, da viele Unternehmen händeringend nach qualifiziertem Personal suchen.

Es droht eine Vermögenspreisblase
Für Angebotsengpässe sei außerdem nicht allein die Pandemie verantwortlich. "Die Gründe dafür liegen tiefer", erklärt der Experte. "So hat etwa die Chipindustrie in den vergangenen Jahren einfach zu wenig investiert, weil sie sich damit häufig eine blutige Nase holte. Früher oder später waren Engpässe vorgezeichnet."

Insgesamt rechnet Bantleon im kommenden Jahr zwar in der Eurozone mit einem Rückgang der Inflation, allerdings lediglich graduell. Langfristig warnt Hartmann vor Aufwärtsrisiken, die die Notenbank nicht vernachlässigen dürfe. "Ein geldpolitischer Kurswechsel ist daher überfällig", fordert der Ökonom, vor allem, aufgrund von Nebeneffekten der Negativzinspolitik. Dazu zählt Hartmann Vermögenspreisblasen, die laut Bericht der Europäischen Bankenaufsicht nicht zuletzt von den tiefen Zinsen befeuert wurden. (fp)