Seit Jahresanfang fließt wieder deutlich mehr Geld in die Finanzmärkte der Schwellenländer – auch in die Anleihenmärkte. Schwellenländeranleihen locken zwar auf den ersten Blick mit attraktiven Renditen, in den zurückliegenden Jahren sind sie aber immer wieder mit hoher Volatilität aufgefallen. Auch viele institutionelle Anleger hatten sich daher aus den EM-Bonds zurückgezogen. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE spricht Aaron Grehan, Portfoliomanager für Emerging-Markets-Anleihen bei Aviva Investors, über die Aussichten.


Herr Grehan, Schwellenländeranleihen haben die Anleger in den vergangenen Jahren Immer wieder enttäuscht. Warum sollte sich das künftig ändern, noch dazu, wenn die für den Export wichtigen Industrieländer konjunkturell straucheln?

Aaron Grehan: Die Zeit nach Covid war tatsächlich herausfordernd für Schwellenländeranleihen. Festverzinsliche Anlagen hatten insgesamt mit strukturellen Problemen zu kämpfen, die durch Probleme innerhalb der Schwellenländer noch verstärkt wurden. Das Schlimmste liegt aber unserer Meinung nach hinter uns, und obwohl die Herausforderungen weiter bestehen werden, spiegeln die Bewertungen dies nach den erheblichen Anpassungen der letzten Jahre weitgehend wider. 

Ist dann jetzt die Zeit, um in diese Anleihen zu investieren?

Grehan: Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Schwellenländer angesichts der derzeitigen Volatilität an den Finanzmärkten Anleger zeitweise enttäuschen werden, doch langfristig dürfte das hohe Renditepotenzial für die Risiken entschädigen. Die Schwellenländer haben die Probleme, mit denen die Industrieländer in den kommenden Quartalen konfrontiert sein werden, gewissermaßen vorweggenommen.

Anleger können in Schwellenländer über Hartwährungs-Staatsanleihen, EM-Unternehmensanleihen oder Lokalwährungsanleihen investieren. In welchem Bereich sehen Sie die besten Chancen?

Grehan: Derzeit sticht kein bestimmter Bereich eindeutig heraus. Unserer Meinung nach lassen sich die besten Chancen durch einen Bottom-up-Ansatz und die Identifizierung von Anlagen ermitteln, die über Eigenschaften oder Aussichten verfügen, die attraktive und nachhaltige Renditen ermöglichen.

Welche Länder und Regionen bevorzugen Sie derzeit?

Grehan: Wir konzentrieren uns auf Länder, die besonders widerstandsfähig sind, eine umsichtige Politik verfolgen und einen günstigen Zugang zu Finanzierungsquellen haben, sei es über den Markt oder multilaterale Finanzierungen. Das Potenzial für Wirtschaftsreformen oder die Teilnahme an IWF-Programmen ist ein zusätzliches Argument für Investitionen, insbesondere in Frontier-Ländern. Hinzu kommt, dass die Bewertungen attraktiv sein müssen. Im Bereich der Hochzinsanleihen gefällt uns Nigeria, wo die neue Regierung ein erstes Engagement für Reformen gezeigt hat. Länder wie Ghana, die eine erfolgreiche Umschuldung hinter sich haben und immer noch auf einem extrem niedrigen Kursniveau gehandelt werden, bieten ebenfalls interessante Gelegenheiten.

Wo sind Sie besonders vorsichtig?

Grehan: Es gibt zwei Gruppen von Ländern, bei denen wir vorsichtig sind. Die erste Gruppe sind Emittenten von Hartwährungsanleihen mit Investment-Grade-​Rating, die zwar wirtschaftlich stark und äußerst widerstandsfähig sind, wie Chile oder Katar, aber zu extrem engen Zinsprämien gehandelt werden. Während die wirtschaftlichen Fundamentaldaten keinen Anlass zur Sorge geben, sind deren Bewertungen nicht attraktiv. Zur zweiten Gruppe zählen Länder, bei denen der Markt die zugrundeliegende Anfälligkeit und das Risiko eines Zahlungsausfalls nicht richtig einschätzt, wie zum Beispiel Pakistan. 

Sollten Anleger Schwellenländeranleihen generell als Alternative zu Unternehmensanleihen aus Industrieländern betrachten?

Grehan: Die Breite und Vielfalt der verschiedenen Anleihen, die im Schwellenländeruniversum zu finden sind, können in einer Reihe von Anlagelösungen eingesetzt werden. Dabei sind Hartwährungsanleihen am besten mit Unternehmensanleihen der Industrieländer zu vergleichen, aber die Zusammensetzung des Anlageuniversums ist sehr unterschiedlich und Schwellenländeranleihen können daher eine Diversifizierung von Risiko und Rendite bieten.

Vielen Dank für das Gespräch. (jh)