Erstmals seit zwei Jahren zeige sich bei der Entwicklung der Teuerungsraten ein ausgewogeneres Bild. Das sagte Gurpreet Gill, Makrostrategin für Anleihen bei Goldman Sachs Asset Management, im Interview mit FONDS professionell. "Dies stellt die Notenbanken vor einen Balanceakt. Sie jonglieren zwischen dem Risiko eines Konjunkturabschwungs einerseits und einem anhaltenden Inflationsdruck andererseits." In den vergangenen beiden Jahren hätten sich die Währungshüter lediglich auf die Eindämmung der hohen Teuerungsraten konzentrieren müssen.

"Die Inflationsraten sind zwar in greifbare Nähe der Zielgrößen der Zentralbanken gerückt, doch wie heißt es so schön: Die letzte Meile des Wegs ist die schwerste", meint Gill. Allerdings würden sich für die nächsten Monate zahlreiche Einflussfaktoren abzeichnen, die dämpfend auf die Inflation wirken. "Angebot und Nachfrage auf den Warenmärkten gleichen sich langsam aus", meint die Zinsstrategin. Angesichts eines drohenden Wirtschaftsabschwungs hätten die Unternehmen auch keine so starke Preissetzungsmacht mehr wie noch während der Corona-Pandemie.

Strukturelle Treiber der Inflation
Die Gefahr eines weiteren Inflationsschubs durch Zweitrundeneffekte erkennt Gill nicht. "Der Lohnanstieg wird voraussichtlich höher sein als im vorherigen Konjunkturzyklus", räumt die Expertin ein. "Damals waren die Teuerungsraten aber auch extrem niedrig." Das Ziel sei, die Lohnsteigerungen mit durchschnittlich dreieinhalb Prozent im Rahmen zu halten. "Diese Steigerung ist mit dem Inflationsziel der Notenbanken von zwei Prozent vereinbar", meint die Rentenstrategin.


Ob Unternehmen die höhere Zinslast stemmen und welche Rolle Staatsanleihen in Portfolios wieder einnehmen können, erläutert Rentenstrategin Gurpreet Gill im vollständigen Interview in Ausgabe 1/2024 von FONDS professionell. Angemeldete Nutzer finden den Artikel auch hier im E-Magazin.


"Ich denke daher, dass sich letztendlich die Teuerungsraten normalisieren", führt Gill aus. "Sie werden voraussichtlich nicht unter zwei Prozent fallen, aber auch nicht mehr so aus dem Ruder laufen wie vor zwei Jahren." Einen Rückfall in die Niedrigzinswelt schließt Gill wiederum aus. "Denn strukturelle Veränderungen werden die Inflation antreiben, etwa die Alterung der Gesellschaft und die daraus resultierende Verringerung der Erwerbstätigenzahl", meint die Goldman-Sachs-Expertin.

"Weitere preistreibende Faktoren sind der Umbau der Lieferketten aufgrund der Deglobalisierung im Warenhandel und die Transformation zu erneuerbaren Energien", ergänzt die Zinsstrategin. "In den Daten spiegeln sich solche Effekte noch nicht wider", schränkt Gill ein und betont: "Es gibt noch keine 'grüne' Inflation." Dennoch hätten die Notenbanken, insbesondere die Europäische Zentralbank, da ein Auge drauf. "Alle Signale deuten darauf hin, dass die nächsten Zinsschritte eher nach unten gehen als nach oben." (ert)