Als Investmentchef der LBBW Asset Management trägt Michael Hünseler die Hauptverantwortung für die Anlage von mehr als 70 Milliarden Euro an Kundengeldern, ein großer Teil davon für Sparkassenkunden. Zuletzt hat er etwas Risiko aus den vermögensverwaltenden Strategien genommen, denn die gute Stimmung an den Aktienmärkten hält er für übertrieben. Die Finanzmärkte würden die bestehenden Risiken ausblenden, meint Hünseler. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE sagt er, wo er dennoch Chancen sieht und wie die Vermögensmanager der LBBW gegenüber der konzerneigenen und externen Konkurrenz punkten möchten. 


Herr Hünseler, der S&P 500 hat erst vor Kurzem ein neues Allzeithoch erreicht. Wie lange kann diese Rally noch weitergehen? 

Michael Hünseler: Tatsächlich zeigt sich der US-amerikanische Aktienmarkt sehr freundlich und profitierte von einer robusten Konjunktur, einer rückläufigen Inflation und der Aussicht auf sinkende Leitzinsen. Allerdings dürfen die mittlerweile 37 Allzeithochs des S&P seit Jahresbeginn nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter dem starken Anstieg eine sehr ungleiche Entwicklung bei den Einzelwerten steht. Ein wesentlicher Teil der Performance des marktkapitalisierungsgewichteten Index wird seit dem vergangenen Jahr von ein paar wenigen Titeln dominiert, große Bereiche des Marktes treten dagegen auf der Stelle. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass sich das ändern wird. Langfristig betrachtet ist es deshalb sinnvoll, stärker in günstig bewertete Small- und Mid-Caps zu investieren oder auch flexible Strategien und Fonds zu wählen, die sich weniger stark an einem bestimmten Index orientieren. 

Wie groß sind Ihre Bedenken bei den Mega-Caps?

Hünseler: Eine Prognose der Entwicklung des S&P 500 ist ohne eine korrekte Einschätzung der Mega-Caps – allen voran Nvidia – nicht mehr möglich. Die Grenzen zwischen der Performance aus der Einzeltitelauswahl, dem Alpha, und der Indexentwicklung, dem Beta, verschwimmen zusehends. Die hohen Indexgewichte der ganz großen Unternehmen stellen für diversifizierte Portfolios durchaus eine Herausforderung dar. Allein Nvidia weist heute im Vergleich zum deutschen Aktienleitindex Dax eine etwa doppelt so hohe Marktkapitalisierung auf. Besonders die KI-Sonderkonjunktur macht volkswirtschaftlich basierte Marktprognosen immer schwerer. Das Ganze ist ein wenig wie in der Goldgräberzeit: Da verdienten zuerst mal die Unternehmen, die die Pickel und Schaufeln herstellten. Irgendwann muss jedoch der Zeitpunkt kommen, an dem diese Anwendungen gewinnbringend eingesetzt werden. Ob sich die erwarteten Produktivitätsgewinne dann einstellen und wer dann davon profitiert, lässt sich noch schwer abschätzen. Trotz aller Euphorie – einige Enttäuschungen werden sich nicht vermeiden lassen.

Momentan ist der Optimismus an den Aktienmärkten aber ungebrochen…

Hünseler: Die seit Jahresanfang weiter stark gestiegenen Aktienindexstände vermitteln eine Art Wohlfühlillusion, die ich für trügerisch halte. Mit der ersten Leitzinssenkung im Juni schlug die EZB einen neuen geldpolitischen Kurs ein, was einem Trendwechsel gleichkommt. Solche Umbrüche bringen meist Unsicherheit und Verwerfungen an den Finanzmärkten mit sich. Die blieben bisher weitgehend aus, die Finanzmärkte werden getragen von einer resilienten US-Wirtschaft. Die europäische Konjunktur bleibt dagegen noch etwas zurück. Die Risikoprämien bei Aktien und Unternehmensanleihen befinden sich nahe des Tiefpunkts – die Bewertungen preisen eine ideale Zukunft ein. Das birgt ein Potenzial für Rückschläge in den kommenden Monaten. 

Es wird also holprig. Worauf sollten Anleger achten?

Hünseler: Auf ein ausgewogenes und gut diversifiziertes Portfolio. Es bleibt spannend, wie die Marktteilnehmer und Zentralbanken aktuelle Wirtschafts- und Inflationsdaten interpretieren. Schwächere US-Arbeitsmarktzahlen begünstigen etwa die Aussicht auf Leitzinssenkungen der US-Notenbank Fed. Genauso könnten sie aber die Sorge vor einer Abkühlung der Konjunktur und damit der Unternehmensgewinne schüren. Bislang hat sich die volle Wirkung der restriktiven Geldpolitik noch nicht gezeigt. Gleichzeitig verschulden sich die USA in einem atemberaubenden Tempo. Die Staatsverschuldung ist mittlerweile auf dem höchsten Stand der Nachkriegszeit angekommen, was das Ergebnis der expansiven Fiskalpolitik ist. Dennoch hält das Gewinnwachstum der Unternehmen nicht mit den Bewertungen mit, das sollten die Anleger trotz des starken Momentums nicht außer Acht lassen. 

Wie viele Zinsschritte erwarten Sie dieses Jahr noch?

Hünseler: Von der EZB erwarten wir dieses Jahr noch zwei Zinssenkungen und von der Fed eine um 25 Basispunkte, wahrscheinlich bereits im September. Im kommenden Jahr wird sich dieser Zinssenkungszyklus fortsetzen. Am Ende könnte die Fed die Zinsen insgesamt kräftiger senken, als der Kapitalmarkt in den vergangenen Wochen eingepreist hat. Für Anleihen ist das positiv, sie profitieren von einer Umschichtung aus Termingeldern, wenn dort die Renditen bröckeln. 

Wie positionieren Sie Ihre Multi-Asset-Strategien?

Hünseler: Bei Aktien bevorzugen wir eine ausgewogenere Verteilung. Günstig bewertete Nebenwerte sind interessant. Bei rückläufigen Zinsen könnten auch dividendenstarke Titel wieder stärker gesucht werden. Die Aktienquote haben wir aber insgesamt ganz leicht zurückgefahren. Bei Anleihen setzen wir aktuell auf eine etwas längere Duration, da wir glauben, dass die Renditen spürbar zurückgehen werden. Insbesondere auf Euro lautende Schuldverschreibungen mit Laufzeiten zwischen fünf und zehn Jahren bieten Kurspotenzial. Bei Hochzinsanleihen sind wir vorsichtiger, da der Markt unserer Meinung nach zu phlegmatisch ist. Die abgeschmolzenen Kreditrisikoprämien bieten hier wenig Schutz, auch wenn wir keine ganz akuten Gefahren in Form stark steigender Insolvenzen sehen.  

Worauf sollten Anleger bei Zinsanlagen achten?

Hünseler: Bei den noch immer hohen Kurzfristzinsen gehen viele Anleger lieber in den Geldmarkt oder Tagesgeld, als in einen Rentenfonds mit sechs oder sieben Jahren durchschnittlicher Anleihenlaufzeit und einer Effektivverzinsung von 2,5 Prozent zu investieren. Sie sollten sich aber fragen, ob die Geldmarktrenditen in ein oder zwei Jahren immer noch so attraktiv sind oder ob sie nicht lieber auch in längere Laufzeiten gehen und sich die aktuellen Renditen über die kommenden Jahre sichern möchten. 

Mit der LBBW Asset Management konkurrieren Sie innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe auch mit der Deka Investment. Wie ist das Verhältnis zu den Wettbewerbern aus Frankfurt? 

Hünseler: Der Wettbewerb ist für unsere Kunden im besten Sinne positiv. Sie profitieren von der umfassenden Auswahl und können von verschiedenen Anbietern das für sie vorteilhafteste Produkt auswählen. Unser Ziel ist es, den Anlegern die passenden und die wettbewerbsfähigsten Lösungen zu bieten. Es ist daher an uns, unsere Stärken besser herauszustellen. 

Mit welchen konkreten Stärken möchten Sie bei den Kunden punkten?

Hünseler: Einer unserer beliebtesten Publikumsfonds ist der LBBW Global Warming. Das ist ein Themenfonds, der auch innerhalb der entsprechenden Morningstar-Kategorie mit fünf Sternen sehr gut bewertet ist und auch im Konkurrenzvergleich den Spitzenplatz einnimmt. Das reflektiert den erfolgreichen Stock-Picking-Ansatz unseres Aktienteams. Mit solchen Akzenten unterscheiden wir uns auch inhaltlich von anderen Anbietern, aber wir bieten auch ein umfassendes Spektrum an hochwertigen Anlagelösungen in den Bereichen Aktien, Anleihen, Multi-Asset und Rohstoffe bis hin zu Risikoprämienstrategien.

Expandieren Sie auch im Segment alternative Anlagestrategien? 

Hünseler: Wir haben erst vor wenigen Monaten ein Private-Markets-Team an Bord geholt, das unseren Kunden Zugang zu illiquideren Investments eröffnen wird. Neue Fondsformate wie beispielsweise ELTIFs lassen alternative Strategien wie Private Equity, Venture Capital oder Private Debt auch für kleinere Anlagesummen investierbar werden. Anleger müssen dabei gut informiert und beraten werden, etwa über Aspekte wie die Haltedauer und spezifische Risiken. Aus Portfoliodiversifikationssicht sind solche Strategien auf jeden Fall sinnvoll.

Vielen Dank für das Gespräch. (jh)