Bis Mitte Juni hat der MSCI World Index lediglich zehn Tagesschwankungen von mehr als einem Prozent verzeichnet, was 8,8 Prozent der Handelstage entspricht. Der Durchschnitt seit 1980 liegt bei 17,9 Prozent, also etwa doppelt so hoch. Größere Tagesschwankungen von zwei Prozent oder mehr traten im globalen Aktienmarkt bis dato nicht auf, und der größte Kursrücksetzer verursachte einen temporären Rückgang von nur 5,1 Prozent im April, wie Thomas Grüner, Gründer und Vice Chairman von Grüner Fisher Investments, erläutert.

Angesichts dieser Zahlen würden Anleger allmählich bemerken, dass die Volatilität fehle. Einige argumentierten, dass sie versteckt ablaufe und sich die Schwankungen einzelner Aktien auf Indexebene ausgleichen. Andere würden diese Ruhe mit Sorge sehen und feststellen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Volatilität wieder mit Macht zurückkehre.

Normalität am Aktienmarkt
Volatilität sei kurzfristig nicht vorhersagbar, und Zeiten geringer Volatilität zögen keine Zeiten hoher Volatilität nach sich, betont Grüner. Timing-Versuche hätten daher geringe Aussicht auf Erfolg. Sinnvoller sei es, sich in ruhigen Phasen mental auf eine höhere Volatilität vorzubereiten, die am Aktienmarkt als Normalität zu betrachten sei. Märkte erschienen oft riskanter, wenn sie heftig schwanken, was emotionale Reaktionen und Aktionismus hervorrufe. Tendenziell sei es jedoch kontraproduktiv, auf vergangene Kursbewegungen zu reagieren.

Sofern sich kein eindeutiger Bärenmarkt entwickle, sei es in der Regel am klügsten, kurzfristige Kursrückgänge einfach auszuhalten. Die anhaltende Volatilität solle als der Preis betrachtet werden, den man für die überlegene Rendite der Aktienmärkte zahle. Mehr Volatilität bedeute nicht "mehr Risiko" – im Gegenteil, Aktien könnten maßgeblich zur Erreichung langfristiger finanzieller Ziele beitragen, erklärt Grüner.

Vorteilhaft per Definition
Die Volatilität sage nichts über das Ende eines Bullenmarktes oder den Anfang eines Bärenmarktes aus, betont Grüner. Letzterer beginne selten mit einem Knall. Bei erfolgreichem Investieren gehe es nicht um das Timing kurzfristiger Schwankungen, sondern darum, sehr viel öfter Aktien zu besitzen, als an der Seitenlinie zu stehen – nur so könnten Bullenmärkte wirklich ausgenutzt werden.

Aktien wiesen in Bullenmärkten im Allgemeinen positive Volatilität auf. Die langfristigen Renditen des S&P 500 lägen bei etwa zehn Prozent jährlich, Bärenmärkte eingeschlossen. Aktien stiegen in drei Viertel der Kalenderjahre an. Betrachtet man nur die Bullenmärkte, so steige der S&P 500 im Durchschnitt 23 Prozent auf Jahresbasis, erklärt Grüner. Das bedeute, dass die Volatilität viel häufiger zu Gunsten der Anleger ausfalle als umgekehrt.

An den Aktienmärkten könne es jederzeit zu unverhoffter Volatilität kommen. Das Ziel sollte nicht darin bestehen, sie perfekt zu timen, sondern sie als normal zu akzeptieren und sich emotional zu wappnen. Grüner empfiehlt, sich von Finanznachrichten fernzuhalten, wenn die Emotionen hochkochen, und sich eine gesunde Ablenkung von der Unruhe rund um die Aktienmärkte zu suchen. So könne man erfolgreich mit der Volatilität am Aktienmarkt umgehen. (mb)