Dank der ausgeprägtesten Leitzinserhöhungen in der Geschichte der Europäischen Zentralbank (EZB) sind aktuell insbesondere die kurzfristigen Zinsen für Euro-Investoren attraktiv: Mit rund vier Prozent ist der Zinssatz für Termingelder im Interbankengeschäft, der Euribor über drei Monate, auf dem höchsten Niveau seit Herbst 2008. Die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen liegt mit zuletzt 2,9 Prozent deutlich darunter. Ist also Cash jetzt wieder King, so wie in den 1980er Jahren? 

Eher nicht. "Die Freude über die attraktiven Kurzfristzinsen dürfte nur von kurzer Dauer sein", dämpft Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, die mögliche Euphorie in einem Marktkommentar gleich wieder. Denn erfahrungsgemäß sei Cash nur King, solange die Notenbanken sich im Zinserhöhungsmodus befinden. Eine Phase, die möglicherweise nicht mehr allzu lange anhält.

Kein Revival der 1980er Jahre
Galler führt zur Erklärung aus, dass die Jahre zwischen 1969 und 1981 eine äußerst "königliche" Zeit für Geldmarktinvestments waren, weil die Erträge eines US-Geldmarktinvestments nicht nur die Gesamtrendite zehnjähriger Staatsanleihen, sondern auch die Aktienmarkterträge übertreffen konnten. "Dies war nur möglich, weil die US-Notenbank in dieser Zeit einen rigorosen geldpolitischen Kurs im Kampf gegen die ausufernde Inflation eingeschlagen hatte", so Galler. Der damalige Vorsitzende der Federal Reserve (Fed), Paul Volcker, erhöhte den US-Leitzins bis auf 20 Prozent, um die Inflation, die in der Spitze fast 15 Prozent erreicht hatte, niederzuringen. 

Die Zinspolitik der EZB dürfte sich nach Ansicht des Finanzmarktexperten nun aber auf der Zielgeraden des aktuellen Straffungszyklus befinden. Innerhalb von 14 Monaten stieg der Einlagensatz der EZB von minus 0,5 Prozent auf 4,0 Prozent. Inzwischen zeige sich auch ein Abkühlen der Inflation in der Eurozone, wo sich der Preisauftrieb von 10,6 Prozent im Oktober 2022 auf 4,3 Prozent im September mehr als halbiert hat. Dämpfende Basiseffekte bei den Energiepreisen dürften zu weiter sinkenden Raten führen. 

Anleihen ertragreicher als Cash
Das führe dazu, dass sich Anleihen besser als Termingelder entwickeln werden. "Die Erfahrungen in den USA liefern ein relativ eindeutiges Bild: In fünf von fünf Fällen haben sich Anleihen nach dem letzten Zinsschritt der Fed über einen Zeitraum von zwei Jahren besser entwickelt als der Geldmarkt. Der Mehrertrag dabei lag zwischen fünf und vierzehn Prozent", stellt der Experte von J.P. Morgan AM fest.

Diese Ergebnisse würden das vorausschauende Verhalten der Finanzmärkte zeigen: Die Anleihenmärkte beginnen mit dem letzten Zinsschritt der Notenbank zu antizipieren, dass die Zinserhöhungen eine bremsende Wirkung auf die Konjunktur entfalten werden – bis hin zu einer Rezession. Die schwächere konjunkturbedingte Nachfrage führt zu einem Nachlassen der Inflation, weshalb es den Zentralbanken dann wieder möglich sein wird, die Zinsen zu senken. In diesem Umfeld profitieren Anleihen. "Für Anleger ist es deshalb sinnvoll, sich weniger am Zinsniveau, sondern vielmehr am Pfad der zukünftigen Geldpolitik zu orientieren", erklärt Galler.

Langfristig überzeugen Aktien
Auch aus langfristiger Sicht sind nach Analyse des Finanzmarktexperten Cash-Investments nicht zum Vermögensaufbau geeignet. "Ein Geldmarktinvestment von einem US-Dollar wäre seit 1900 auf realer Basis, das heißt abzüglich der Inflation, gerade einmal auf 1,70 US-Dollar angestiegen. Bei US-Anleihen wäre das Investment über den gleichen Zeitraum immerhin auf neun US-Dollar angewachsen. Die eindeutig beste Wertentwicklung auf realer Basis konnte jedoch mit einem Aktieninvestment erreicht werden. So wären aus dem ursprünglich investierten Betrag von einem Dollar heute real 2.600 US-Dollar geworden", betont Galler. (jb)