Die US-Notenbank Fed hat mit dem schnellsten und umfangreichsten Zinserhöhungszyklus der vergangenen 40 Jahre nach Ansicht von Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, mehr als genug getan, um die Inflation zu bändigen. In den USA stützte die jüngste Veröffentlichung des Verbraucherpreisindex (VPI) die Ansicht, dass die Inflation sich auf dem Rückzug befindet. Von ihrem Höchststand von 9,1 Prozent im vergangenen Juni ist sie im April 2023 auf 4,9 Prozent gesunken. "Leitzinserhöhungen brauchen in der Regel sechs bis zwölf Monate, um vollständig in der Realwirtschaft anzukommen. Der 'Bremseffekt' der bisherigen Zinserhöhungen ist deshalb vollumfänglich noch gar nicht sichtbar", so Galler.

Beeinträchtigungen seien im Bankensektor bereits sichtbar: Die Abflüsse auf der Passivseite der Bankbilanz, bei Giro- und Sparkonten, tragen zu einer Verknappung auf der Aktivseite vor allem bei der Kreditvergabe bei. "Über 46 Prozent der US-Geschäftsbanken haben im ersten Quartal bereits die Kreditstandards für Unternehmen verschärft. Eine Breite, die in den letzten 30 Jahren nur in Rezessionen erreicht wurde. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen wird in den kommenden Monaten leiden, mit den entsprechend negativen Folgen für Wachstum und Beschäftigung", erläutert Galler. Die Geschäftsbanken hätten inzwischen die Aufgabe der Notenbanken übernommen, die Liquidität zu straffen und damit die volkswirtschaftliche Nachfrage zu schwächen, um der Inflation Einhalt zu gebieten. 

"EZB hat noch etwas mehr Spielraum"
Jeder weitere Zinsschritt der US-Notenbank würde aus Sicht von Galler die Spannungen im Bankensystem weiter erhöhen und möglicherweise einen Absturz der Konjunktur verursachen. Das spreche eindeutig für ein Ende des US-Straffungszyklus. Die EZB stehe für die Eurozone vor einer ähnlichen Situation, aber mit zwei signifikanten Unterschieden. "Erstens sind der Rückgang der Inflation auf 7,0 Prozent und der Leitzinsanstieg auf 3,25 Prozent weniger ausgeprägt als in den USA. Zweitens haben sich die Kreditbedingungen nicht in gleichem Ausmaß verschärft. Die Geldpolitik der EZB hat deshalb noch etwas mehr Spielraum für Zinserhöhungen", erklärt Galler. Dennoch geht der Ökonom davon aus, dass sich auch die EZB auf der Zielgeraden ihres Straffungszyklus befindet. 

Für die Rentenmärkte bedeute ein Szenario mit niedrigeren Inflationsraten und einer schwächeren Konjunktur die Chance auf fallende Renditen und Kursgewinne. Gerade wenn es zu einer unsanften Landung der Wirtschaft käme, könnten Anleihen Schutz und Stabilität bieten, so Galler. (fp)