FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2024

Was meinen Sie damit konkret? Es hat sich gezeigt, dass Notenbanker wie auch Analysten oder andere Marktteilneh- mer gerade dann besonders schlecht darin waren, den künftigen Kurs von Leitzinsen vorherzusagen, wenn Bewegung in die Zinspolitik kommt, wenn wir also kurz vor einer Anhebung oder einer Senkung der Zinsen stehen. Und klassischerweise unterschätzt der Markt diese Dynamik. Wo steht denn Ihr Haus bei der Frage nach einemeventuellen Comeback der Inflation? Sind wir über den Berg oder noch imAuge des Sturms? Im Auge des Sturms sind wir nicht mehr. Wir gehen davon aus, dass die Inflations- raten in den beiden großen Wirtschafts- räumen, also USA und Europa, im weite- ren Jahresverlauf schrittweise nachgeben werden. Allerdings wird dieser Rückgang nur sehr zäh verlaufen, sehr viel langsamer, als das von vielen Akteuren derzeit noch erwartet wird, und auch nicht unbedingt geradlinig. Woran machen Sie das fest? An der Tatsache, dass wir es bei der Ent- wicklung der Teuerungsrate mit einer Art Spannungsverhältnis zweier unterschied- licher Treiber zu tun haben. Auf der einen Seite sind das die großen Anker der Infla- tion, wozu zum Beispiel die Inflationser- wartungen, aber natürlich auch die Lohn- entwicklung gehören. Das ist die Gruppe von Wirtschaftsindikatoren, die eher auf einen nur sehr langsamen Rückgang der Inflation hindeuten. Auf der anderen Seite steht die Gruppe der zyklischen Variablen oder Indikatoren, die eher auf einen schnel- leren Rückgang hindeuten, wozu insbeson- dere die Entwicklung der Realwirtschaft gehört. Wir gehen davon aus, dass wir uns in einer Art Mittelszenario innerhalb dieses Spannungsverhältnisses bewegen werden. Wer wird zuerst reagieren, EZB oder Fed? Wir erwarten, dass diesmal die EZB den ersten Zinsschritt machen wird. In Europa verläuft der Rückgang der Inflation etwas schneller als in den USA, weil sich die hiesige Wirtschaft eben in einem deutlich schwächeren Zustand befindet. Die US- Wirtschaft dagegen läuft noch sehr gut, deshalb bleibt der Preisdruck dort etwas höher. Eingangs haben Sie von neuen Höchststän- den in den Indizes gesprochen. So kann die Normalisierung der Geldpolitik doch nur bis zu einem gewissen Punkt vorangehen, um es gar nicht erst zu einer Blasenbil- dung an den Märkten kommen zu lassen? Ich würde sogar sagen, dass das ein ganz entscheidender Punkt für die Geldpolitik ist, und zwar generell.Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass der natürliche Zins das Ziel ist. Anders gesagt: ein mittelfristiges Zinsniveau, das eben weder zu einem Anfachen der Inflation oder einer Blasenbildung führt noch zu einem Absturz vonWirtschaft oder Finanz- märkten. Dummerweise verhält es sich bei diesem natürlichen Zinsniveau so ähnlich wie beim Potenzialwachstum.Man bewegt sich auch dabei ein wenig im Nebel und kann sich nur mit Schätzungen annähern. Wie beantworten Sie die Gretchenfrage nach dem neuen Normal der Leitzinsen? Wenn man alle Faktoren zusammen- nimmt, dann bewegt sich das neue Nor- mal der Zinsen in den USA wohl in einem Bereich zwischen drei und vier Pro- zent, wahrscheinlich eher am unteren Rand dieser Spanne. Und für Europa dürf- te diese Spanne etwa einen Prozentpunkt tiefer liegen. Danke für das Gespräch! HANS HEUSER FP KURZ-VITA: Johannes Mayr Im April 2021 hat Johannes Mayr die Rolle des Chefvolks- wirts beim Münchner Vermögensverwalter Eyb & Wallwitz übernommen. Zuvor stand er zehn Jahre lang in den Diensten der Bayern LB, zunächst als Teamleiter Volkswirtschaft, zuletzt als Abteilungsleiter Investment-Research. » Die US-Wirtschaft läuft noch sehr gut, deshalb bleibt der Preisdruck dort etwas höher. « Johannes Mayr, Eyb & Wallwitz FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH fondsprofessionell.at 1/2024 121

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