FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2024
Nulllinie heran. Das ist aber kein Grund für Panik, sondern Anlass für die Wirt- schaftspolitik, den Fokus auf langfristige Weichenstellungen zu legen. Ökonomen sprechen dann oft vom Poten- zialwachstum. Aber bewegen sie sich da nicht in einer Art flauem Terrain, das eigentlich gar nicht konkret zu fassen ist? Das kann man sicher so sagen. Das soge- nannte Potenzialwachstum hat eben die unangenehme Eigenschaft, dass es ähnlich wie der natürliche Zins nicht direkt beob- achtbar, sondern nur indirekt ableitbar ist. Das heißt, man muss bestimmte Annah- men treffen.Wenn diese zutreffend sind, so kann ich aus den beobachteten Daten zur Wirtschaftsleistung, ergänzt um diese An- nahmen, das Potenzialwachstum ableiten. Aber weil es eben nicht konkret beobacht- bar ist, sind die entsprechenden Schätzun- gen immer mit einer gewissen Unsicher- heit behaftet. Wie gehen Sie mit demThema um? Zu einem meiner Erfahrung nach guten Näherungswert für das Potenzialwachstum einer Volkswirtschaft gelangt man, indem man betrachtet, mit welchem Wirtschafts- wachstumman mittelfristig rechnen kann, wenn die Wirtschaft durch die Konjunk- turpolitik weder besonders angeschoben noch besonders abgebremst wird. Und die- ses durchschnittliche normale Wirtschafts- wachstum liegt eben derzeit nach allen maßgeblichen Schätzungen in Deutsch- land extrem niedrig, sehr viel niedriger als zum Beispiel in den USA. Ein Thema, das den Markt weiter in Atem hält, ist der starke, aber zuletzt rückläufige Anstieg von Verbraucher- und Produzen- tenpreisen. Behalten am Ende jene recht, die überzeugt waren, es handle sich ledig- lich umeine vorübergehende Erscheinung? Ja und nein. Das im Englischen oft als „Team Transitory“ bezeichnete Lager war davon ausgegangen, es brauche eigentlich keine geldpolitische Straffung, weil die Inflation sich von selbst zurückbilden wer- de. Dahinter stand die Erwartung, es seien vor allem Angebotsfaktoren, die preistrei- bend gewesen seien. Im Rückblick zeigt sich aber, dass es eben doch außergewöhn- licher Maßnahmen der Geldpolitik bedurft hat, um die Inflation wieder auf deutlich angenehmere Niveaus zurückzuführen. Daher lag die Wahrheit wahrscheinlich eher in der Mitte zwischen „Team Transito- ry“ und „Team Permanent“, weil die Infla- tionsrate zwar schneller heruntergekom- men ist, als es die Skeptiker erwartet hatten, es auf der anderen Seite aber deutlich höherer Zinsen bedurft hat, als nach An- sicht der Optimisten nötig schien. Waren es denn aus Ihrer Sicht amEnde die Angebots- oder die Nachfragefaktoren? Beide haben einen Effekt gehabt. Um ab- schließend zu beurteilen, ob eine Verknap- pung auf der Angebotsseite oder eher eine überbordende Nachfrage die größere Rolle für den enorm starken Anstieg der Preise gehabt hat, ist es wohl noch etwas zu früh. Im Moment finden beide Seiten immer noch gute Argumente für ihre jeweilige Position. Mit einem stärkeren zeitlichen Abstand wird die Ökonomie mit Sicher- » Es hat außergewöhnlicher Maßnahmen der Geldpolitik bedurft, um die Inflation wieder auf deutlich angenehmere Niveaus zurückzuführen. « Johannes Mayr, Eyb & Wallwitz FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH fondsprofessionell.at 1/2024 119
RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=