FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2024
Inwiefern ist ein Umbau nötig? Während unser Wirtschaftsmodell grund- sätzlich in Frage gestellt wird, müssen wir gleichzeitig Lösungen für die Herausforde- rungen finden, vor die uns der weltweite Klimawandel stellt. In gewisser Weise müs- sen wir unsere Volkswirtschaften innerhalb relativ kurzer Zeit auf vollkommen neue Beine stellen, denn heute basiert unser Wirtschaftsleben noch immer viel zu stark auf Öl, Kohle und Gas. Das kann so in zehn Jahren nicht mehr sein, wenn wir die Ziele des EU Green Deal erreichen wollen, und kommt im Prinzip nicht weniger als einer Art industriellen Revolution gleich. Wer bereitet Ihnen denn die größte Sorge? Um ehrlich zu sein, ist das aktuell Deutsch- land. Unser Nachbar im Osten droht nach dem jüngsten Rückgang der Konjunktur wie schon 2023 auch das laufende Jahr mit einemMinuszeichen bei seiner Wirtschafts- leistung abzuschließen. Wie soll denn ein so umfassender Umbau der Wirtschaft überhaupt gelingen? Die Verschuldung ist inzwischen in nahezu allen europäischen Ländern viel zu hoch, um entsprechende Impulse von der Fiskal- seite erwarten zu dürfen. Deutschland ist aktuell die einzige bedeutende Volkswirt- schaft in der Europäischen Union, die sich dank eigener extrem strenger Regeln – Stichwort Schuldenbremse – überhaupt noch an die Maastrichtkriterien hält. Die enorm rigide Haushaltspolitik Deutsch- lands führt dazu, dass weder die Binnen- nachfrage angekurbelt werden kann noch die Ausfälle aufgrund eines schwächeren Exportgeschäfts, insbesondere jenes mit China, ausgeglichen werden können. Dann wird Deutschland die Schuldenbrem- se am Ende doch aufweichen müssen? Davon muss man wahrscheinlich ausge- hen. Zumindest sollte sie aus meiner Sicht reformiert werden, wie das auch eine ganze Reihe renommierter Ökonomen bis hin zum Rat der Wirtschaftsweisen schon seit geraumer Zeit fordern. Über die Notwen- digkeit konsumtiver Ausgaben des Staates lässt sich ja durchaus streiten. In Bezug auf investive Mittel des Staates aber kommt doch gerade Deutschland eine besondere Rolle innerhalb der Europäischen Gemein- schaft zu, die andere Länder gar nicht zu übernehmen in der Lage sind. Ist nicht zumindest die zuletzt rückläufige Inflation eine Art Silberstreif amHorizont? Ich fürchte, da täuschen Sie sich. Denn am Ende machen wir uns doch etwas vor, wenn wir feiern, dass die Inflation in Deutschland im August auf 1,9 Prozent gesunken ist, und dann gleich so tun, als sei die Teuerungswelle bereits Geschichte. Was meinen Sie mit „etwas vormachen“? Die Preise für Energie wie auch für Lebens- mittel befinden sich in Europa nach wie vor auf einem vergleichsweise enormhohen Ni- veau.Der Konsumentenpreisindex für Ener- gie in der Eurozone lag in der Zeit vor dem Ausbruch der Pandemie bei einemWert na- he 100. Heute liegt diese Kennzahl bei ei- nemWert von mehr als 140. Nicht ganz so schlimm steht es um die Preisentwicklung von Lebensmitteln, hier steht der Index der- zeit bei 125.Das zeigt doch vor allem eines: Was die Kaufkraft betrifft, hat sich die Situa- tion in der Eurozone dramatisch verschlech- tert, daran kann der verständliche Jubel über rückläufige Inflationszahlen nichts Wesent- liches ändern. In den USA ist das anders, weil man durch den sogenannten Inflation Reduction Act sehr viel früher und weitsich- tiger auf eine absehbare Verteuerung von Energie und Lebensmitteln reagiert hat. Was schließen Sie daraus? Wenn wir feststellen, dass weder der Au- ßenbeitrag noch die Finanzpolitik in der Lage sind, einen spürbaren Impuls zur Belebung der Konjunktur zu geben, dann bleibt im Grunde nur die Geldpolitik als Quelle eines wieder anziehenden Wachs- tums in Europa. Daher kommt der EZB die Rolle des wichtigsten Taktgebers für » Die Schuldenbremse sollte aus meiner Sicht zumindest reformiert werden. « Philippe Waechter, Ostrum AM FOTO: © FRANÇOIS DABURON MARKT & STRATEGIE Philippe Waechter | Ostrum Asset Management 96 fondsprofessionell.at 3/2024
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