FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2024

Von der deutschen Schuldenbremse hält Philippe Waechter , Chef- ökonom der Natixis-Tochter Ostrum Asset Management , nicht viel. In Bezug auf die Geldpolitik geht Waechter sogar so weit, das Zwei- Prozent-Ziel der Notenbanken für die Inflation infrage zu stellen. I n Frankreich gehört Philippe Waechter mit seinen regelmäßig veröffentlichten Blogbeiträgen zu aktuellen Fragen von Wirtschafts- und Geldpolitik sowie den Hintergründen der Konjunkturentwick- lung schon lange zu den Stars der Öko- nomenszene. Auf Linkedin zählt er mit über 130.000 Followern bereits seit 2018 zu den sogenannten „Top Voices“. Fast schon kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Waechter die Finanzbranche bereits seit 36 Jahren mit seinen Kommentaren begleitet. Ende der 1990er Jahre wurde er zumChef- volkswirt der Natixis-Tochter Ostrum Asset Management ernannt, eine Aufgabe, die er bis heute wahrnimmt. FONDS professio- nell traf ihn in seinem Pariser Büro zum Gespräch. Herr Waechter, Sie dürften einer der am längsten amtierenden Banken-Volkswirte in Europa, wenn nicht weltweit sein, korrekt? Philippe Waechter: Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber das mag durchaus sein.Was ich dagegen mit Sicherheit sagen kann: Ich habe in meiner im April 1988 begonnenen Laufbahn als Ökonom im Grunde nie den Arbeitgeber gewechselt. Die Arbeitgeber haben nur ihre Namen gewechselt (lacht) . Nach dem Studium der Ökonomie und der anschließenden Pro- motion über das Thema Staatsverschul- dung habe ich mir meine ersten Sporen als Volkswirt der früheren BRED-Bank ver- dient. Das war die bedeutendste genossen- schaftliche Tochter der Gruppe Banque Populaire, die später in der Mitte der neun- ziger Jahre neu entstandenen Natixis-Grup- pe aufgegangen ist. Seit 1998 arbeite ich als Chefvolkswirt der Natixis-Tochter Ostrum Asset Management. Angesichts dieses Erfahrungsschatzes er- gibt es Sinn, zu fragen, ob wir uns tatsäch- lich in einer speziellen Situation befinden oder ob wir in einigen Jahren rückblickend von einem „More of the same“ sprechen. Ich glaube, dass wir dann eher feststellen werden, dass sich die wirtschaftliche und geopolitische Gesamtsituation weltweit sogar dramatisch verändert haben wird. Als Thomas Friedman, außenpolitischer Kom- mentator der „New York Times“, im Jahr 2004 sein Standardwerk mit dem Titel „The World is Flat“ veröffentlicht hat, ist er davon ausgegangen, dass sich durch die zunehmende Globalisierung ungeahnte Möglichkeiten durch diverse Formen der Kooperation zwischen den unterschied- lichsten Vertretern der großen Blöcke USA, China, Europa und darüber hinaus erge- ben würden. Das war ja lange Zeit auch durchaus der Fall, wenn wir nur an den enormen Aufschwung denken, der sich durch ausländische Direktinvestitionen in China, einen zunehmenden Technologie- transfer und ein zeitweise geradezu boo- mendes Import-Export-Geschäft zwischen diesen Blöcken entwickelt hat. Heute aber stehen wir an einem regelrechten Wende- punkt, was diese Entwicklung angeht. Was meinen Sie mit Wendepunkt? Friedmans Bild einer flachen Welt mit gewissermaßen horizontal nach allen Sei- „Bei der EZB fehlt mir der mutige Blick nach vorn“ » Wirtschaftlich geht es sehr viel stärker um Abschottung als um Kooperation. « Philippe Waechter, Ostrum AM FOTO: © FRANÇOIS DABURON MARKT & STRATEGIE Philippe Waechter | Ostrum Asset Management 94 fondsprofessionell.at 3/2024

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