FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2024
Tatsächlich? Ja, zu diesem Thema gibt es eine breite und gut abgesicherte Studienlage. Die Ergebnisse zeigen, dass Verbraucher mit einer geringen Finanzbildung zwar seltener eine Anlageberatung wahrnehmen. Wenn sie es aber tun, folgen sie öfter der Emp- fehlung des Beraters und tätigen einen Abschluss. Bei Menschen mit hoher Finanz- bildung ist es genau andersherum. Es müsste doch möglich sein, mehr Bun- desbürger mit geringer Finanzbildung dazu zu bewegen, Beratung nachzufragen. Nun ja, eine geringe Finanzbildung korre- liert nicht selten mit einem allgemein eher niedrigen Bildungsstand, damit auch mit einem geringen Einkommen und Vermö- gen. Da ist der Anreiz für Banken, solche Kunden zu akquirieren, eher eingeschränkt. Aber ja, freie Finanzberater können diese Zielgruppe natürlich ansprechen, das wäre lobenswert. Sie könnten sie zum Beispiel über kostenlose Bildungsangebote im Internet erreichen. Dabei sollten Berater auf eine gut verständliche Kommunikation achten und sich das Prinzip der Homo- philie zunutze machen. Das könnten sich freie Berater und Banken doch bei der Ansprache jeder Zielgruppe zunutze machen. Sie sagten, in der Ver- triebssteuerung von Kreditinstituten spiele es aber so gut wie keine Rolle. Warum eigentlich nicht? Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Die notwendigen Daten hätten sie ja, um sol- che „Kunde-Berater-Paare“ zu bilden. Aus meiner Sicht würde sich das lohnen. Bei Finanzvertrieben findet ein solches Mat- ching implizit schon statt. Dort sprechen zum Beispiel junge Berater, die gerade ein- steigen, die Mitglieder ihrer Fußballmann- schaft an oder gehen an Hochschulen, um Kunden zu akquirieren. Das ist genau rich- tig, um den Homophilie-Effekt als Vertrau- ensvorschuss zu nutzen. Freie Vermittler können auch ganz bestimmte Zielgruppen ansprechen, zu denen sie eine persönliche Verbindung haben. Sie erforschen auch, wie Finanzberatung zu den typischen Fehlern beitragen kann, die Sie beschrieben haben. Können Sie sagen, was Berater vermeiden sollten? Sie sollten Anleger in Fehlentscheidungen nicht noch bestärken. Benötigt ein Kunde zum Beispiel gerade Liquidität, so wäre es falsch, wenn der Berater ihm empfehlen würde,Wertpapierpositionen zu halten, die im Minus sind, und Gewinneraktien zu verkaufen. So etwas kommt aber immer wieder vor. Schließlich weiß der Berater, dass der Kunde keine realisierten Verluste mag. Und letztendlich müsste sich der Finanzprofi vielleicht auch noch selbst eingestehen, dass er falsch beraten hat. Das ist kein gutes Gefühl. Wenn Emotionen in der Finanzberatung eine so große Rolle spielen, lassen sich menschliche Berater dann komplett durch Robo-Advisors ersetzen? Das glaube ich überhaupt nicht. Neben einem fundierten Fachwissen können Be- rater aus Fleisch und Blut ihren Kunden auch ein Gefühl der Sicherheit vermitteln und Vertrauen herstellen. Und gerade weil es in der Finanzberatung so heftig men- schelt, ist das ganz wichtig. Vielen Dank für das Gespräch. ANDREA MARTENS FP KURZ-VITA: Andreas Walter Andreas Walter ist seit 2009 Professor für Finanzdienstleis- tungen an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach einer Bankausbildung studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und promovierte dort im Bereich Finance. In seiner Forschung beschäftigt sich Walter mit dem Entscheidungsverhalten von privaten und institutionellen Investoren, mit Behavioral Finance, House- hold Finance, Asset Management sowie ESG-Investments. Für seine Forschungsarbeiten ist Walter bereits mit diversen Preisen ausgezeichnet worden. » Je höher die Finanzbildung eines Kunden ist, desto seltener kommt es zu einem Vertrags- abschluss. « Andreas Walter, Universität Gießen FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH fondsprofessionell.at 3/2024 221
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