FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2024

Vermutlich doch im rationalen System zwei, oder nicht? Da Anlageentscheidungen zu fällen für die meisten Verbraucher keine Beschäftigung ist wie Auto fahren oder spazieren gehen, trifft das grundsätzlich zu. Nun verfügen bekanntlich aber sehr viele Bundesbürger nicht über ausreichend Finanzbildung, um selbst zu entscheiden, welche Anlagepro- dukte für sie geeignet sind. Das führt dazu, dass sie sich in der Welt der Finanzen ver- loren fühlen. Und aus diesem Gefühl heraus geschieht es leicht, dass ein Anleger doch wieder in das System eins zurück- schaltet. Dann überlässt er die Entschei- dung einem Berater, dem er vertraut. Sie sagten bereits, dass die Behavioral Finance verschiedene typische Anleger- fehler identifiziert. Könnten Sie bitte die gängigsten erklären? Wir haben über 100 Fehler identifiziert, ich erläutere einmal die fünf, die mir als die wesentlichen erscheinen. Da haben wir zu- nächst einmal die Verlustaversion, englisch Loss Aversion, und damit verbunden den Disposition Effect. Eine ganz wichtige Er- kenntnis ist, dass Verluste für Menschen doppelt so schwer wiegen wie Gewinne. Das führt häufig dazu, dass Anleger sich etwa von echten Verliereraktien oder Fonds, die dauerhaft im Minus sind, nicht tren- nen. Papiere, die gute Gewinne machen, verkaufen sie deutlich schneller, weil sie das Gefühl haben, alles richtig gemacht zu ha- ben. Beides zusammen nennt man Dispo- sition Effect. Die Verlustaversion ist auch ein Grund dafür, dass Menschen gar nicht erst am Aktienmarkt investieren. Der zwei- te wichtige Aspekt ist die Overconfidence. Was ist darunter zu verstehen? Das ist eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, die besonders häufig bei jun- gen Männern vorkommt. Weil sie auch in Sachen Investments der Überzeugung sind, mehr verstanden zu haben als alle anderen, picken sie sich immer wieder Einzelaktien heraus, statt ihr Depot einmal breit zu diversifizieren. Das führt zu einer hohen Handelsfrequenz und hohen Kosten, was der Rendite natürlich nicht zuträglich ist. Dazu kommt dann oft auch noch der sogenannte Confirmation Bias. Das bedeu- tet, dass Menschen sich immer genau die Informationen suchen, die ihre Meinung bestätigen, und alles, was nicht dazu passt, ignorieren. Der Familiarity und der Home Bias wiederum bringen Anleger dazu, Wertpapiere zu kaufen, die ihnen in gewis- ser Weise nah sind. Anleger aus Deutschland setzen also lieber auf Aktien deutscher Unternehmen? Nicht nur das. Die Forschung zeigt auch, dass Anleger, die etwa in München leben, eher Papiere von Münchner Unternehmen erwerben als beispielsweise von Hambur- ger Firmen. Und wer in Bayern zu Hause ist, investiert eher in österreichische Aktien als in dänische – gar nicht zu reden von US-Papieren oder gar asiatischen Werten. Der Homo oeconomicus würde so ganz sicher nicht handeln. Er würde auch kei- nem Herdentrieb folgen, dem fünften An- legeirrtum, dem Herding, also nicht unter- liegen. Dabei laufen Privatinvestoren mit der breiten Masse mit, obwohl sie Informa- » Finanzberater sollten sich das Prinzip der Homophilie zunutze machen. « Andreas Walter, Universität Gießen FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH fondsprofessionell.at 3/2024 219

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